Regie: Cyril Frankel
Nimm keine Süßigkeiten von Fremden...
Filme über pädophile Verbrecher waren in früheren Dekaden noch eher selten. Da war der 1931 entstandene "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" von Fritz Lang eine große Ausnahme. Ein weiterer deutscher Filmklassiker war "Es geschah am hellichten Tag" mit Heinz Rühmann und Gert Fröbe, der im Jahr 1958 von Ladislao Vajda gedreht wurde. Viel weniger bekannt ist der 2 Jahre später entstandene "Vertraue keinem Fremden" (Never takes sweets from a Stranger), den die Hammer Studios produzierten. Regie führte Cyril Frankel (Der Teufel tanzt um Mitternacht, Das Geheimnis der weißen Sonne). Die Kameraarbeit wurde Freddie Francis anvertraut, der sich damals bereits durch seine vorzügliche Arbeit in "Der Weg nach oben" einen guten Namen machte und später zu einem der wichtigsten Kameramänner der Filmgeschichte aufstieg. Oscars für "Glory" und "Söhne und Liebhaber". Darüberhinaus inszenierte er einige Hammer Filme (Haus des Grauens, Der Satan mit den langen Wimpern, Draculas Rückkehr) aber auch für Amicus (Die Todeskarten des Dr. Schreck, Sie kamen von jenseits des Weltraums, Der Foltergarten des Dr. Diabolo). Aus heutiger Sicht und unter Hinzunahme von Täter-Profiles ist der böse alte Mann in "Vertrau keinem Fremden" natürlich etwas ungewöhnlich, aber der Film punktet unter ganz anderen Gesichtspunkten. Obwohl der Film vordergründig von der Korruption und vom Missbrauch von Kindern handelt, ist das Hauptthema auch die Korruption der Macht. Es ist geradezu beklemmend wie die Stadtbewohner es den Eltern des Kindes auf vielfältige Weise fast unmöglich machen, den Fall seiner Tochter vor Gericht zu bringen. Etwas stiefmütterlich wird der alte Mann selbst behandelt, es wird lediglich angedeutet, dass alle wissen, dass da eine starke pädophile Neigung vorhanden ist und dass es sicherlich auch schon Vorfälle in der Vergangenheit gab, wo die Alarmglocken hätten leuten müssen. Aber er ist einer der reichsten und angesehensten Männer im Ort, der in jungen Jahren die Stadt groß gemacht hat, was einen großen Teil der Leute wohlhabend machte. Gwen Watford und Patrick Allen als verzweifelte Eltern und Alison Leggatt als weise, verständnisvolle Großmutter führen eine Besetzung an, die von Cyril Frankel mit großem Feingefühl inszeniert wird. Felix Aylmer, der während des gesamten Films kein Wort spricht, liefert eine erschreckend scharfsinnige Studie des zerfallenden Bösen. Trotz einiger Schwächen, die durch den damaligen zeitgeist vorhanden sind, ist es ein exzellenter Film, der seiner Zeit um Jahrzehnte voraus war. Die britische Familie Carter - Peter (Patrick Allen), Sally (Gwen Watford) und die neunjährige Tochter Jean (janina Faye) ist nach Peters Ernennung zum Schuldirektor in eine kanadische Kleinstadt gezogen. Eines Nachts wirkt Jean unruhig und verstört und gesteht ihren Eltern, dass sie und ihre Freundin Lucille (Frances Green) beim Spielen im Wald einen älteren Mann aufgesucht hatten. Dieser hatte sie gebeten, sich auszuziehen und nackt vor ihm zu tanzen, um Süßigkeiten zu bekommen. Sie taten es, und Jean glaubt nicht, dass sie etwas Unrechtes getan haben. Ihre Eltern sind jedoch entsetzt und beschließen, Anzeige zu erstatten. Der Angeklagte, Clarence Olderberry sr., (Felix Aylmer) gehört zu der reichsten, angesehensten und einflussreichsten Familie der Stadt. Die Stimmung wendet sich gegen die Carters, als die Stadtbewohner die Reihen gegen die Neuankömmlinge schließen. Der Polizeichef zweifelt Jeans Aussage an, während Olderberrys Sohn (Bill Nagy) die Carters warnt, dass Jeans Beweise und Glaubwürdigkeit vor Gericht zerrissen werden, wenn sie die Angelegenheit gerichtlich verfolgen. Die Carters geben nicht nach, doch als der Fall vor Gericht kommt, findet dies vor einer offensichtlich manipulierten Jury und in einer Atmosphäre extremer Feindseligkeit gegenüber den Carters statt. Wie angedroht, verhört der Verteidiger (Niall McGinnis) Jean auf erschütternde, einschüchternde Weise, die sie verwirrt, verängstigt und als unzuverlässige Zeugin erscheinen lässt. Unweigerlich wird Olderberry freigesprochen. Die Carters erkennen, dass sie in der Stadt keine Zukunft haben, und planen ihre Abreise. Kurz vor ihrer Abreise macht Jean eine Fahrradtour und trifft Lucille. Sie sind wieder im Wald, als Olderberry auf sie zukommt und ihnen eine Tüte Süßigkeiten anbietet...
Dieser zum Nachdenken anregende und intelligente Film von Hammer Film Productions ist dank Sony Pictures‘ aktueller "Icons of Suspense“-Reihe endlich auch auf DVD erschienen. Das kontroverse Thema Kindesmissbrauch war 1960 noch weitgehend unerforschtes Terrain, und die Erzählung erforderte eine Feinfühligkeit und Subtilität, für die Hammer damals nicht bekannt war. Die größte Überraschung des Films ist, wie taktvoll die beunruhigenden Details der Handlung präsentiert werden. In allen Aspekten der Produktion herrscht ein Gefühl von Understatement und Minimalismus, ein Gefühl, dass dieses erwachsene Thema für sich selbst sprechen kann und nicht die melodramatischen und übertriebenen Ausschmückungen von Hammers sensationelleren Werken benötigt.Olderberry und seine Perversion werden von einer Gemeinde, die seiner Familie etwas zu verdanken hat, mit Humor genommen, und der beunruhigendste Aspekt der Erzählung ist die Art und Weise, wie die Einwohner von Jamestown bereit sind, Moral und Gerechtigkeit zugunsten des kapitalistischen Unternehmens, das die Stadt gegründet hat, aufzugeben. . Leider floppte dieses lobenswerte Drama 1960 an den Kinokassen, obwohl die Kritiken für Hammer überdurchschnittlich gut ausfielen. Der Film verfolgt einen objektiven Ansatz und präsentiert die Geschichte ohne die erwartete Moralpredigt. Dies ist eine mutige Entscheidung, die sich nun auszuzahlen beginnt, da immer mehr Menschen diesen wichtigen Film entdecken.
Bewertung: 9 von 10 Punkten
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen