Regie: Kurt Hoffmann
Zwei deutsche Lebensläufe....
Kurt Hoffmann war mit Sicherheit einer der erfolgreichsten
deutschen Filmregisseure. Bereits während der NS-Zeit drehte er
Kassenschlager wie "Quax, der Bruchpilot" oder "Ich vertraue dir meine
Frau an". In den 50er Jahren gelangen ihm eine Riesenerfolge wie
"Hokuspokus", "Das fliegende Klassenzimmer", "Drei Männer im Schnee",
"Ich denke oft an Piroschka", "Das Wirtshaus im Spessart", "Bekenntnisse
des Hochstaplers Felix Krull" oder "Das Spukschloß im Spessart".
Sein
vielleicht kritischster Film ist aber "Wir Wunderkinder" aus dem Jahr
1959, der zwar von dem Regisseur gewohnt schwungvoll und unterhaltsam
inszeniert wurde, aber mit seiner kabarettistischen Form die
Lebensgeschichte zwier typischer Deutscher erzählt und somit auch einen
weitestgehend gelungenen Kommentar zur Vergangenheitsbewältigung
beinhaltet. Vor allem durch die Mitwirkung der beiden Kabarettisten
Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller, die bereits im "Wirtshaus im
Spessart" mit Hoffmann zusammengearbeitet hatten, kommt der Gewinner des
Golden Globe Awards als bester fremdsprachiger Film des Jahres 1960 als
"Film im Film" daher. Die beiden Akteure begleiten das Geschehen von
1913 bis 1957 von einer Bühne aus, wo sie die Handlung mit sehr bissigen
Kommentaren und Klaviermusik begleiten. Dabei gelingt es Ihnen
eindrücklich sich von Konzessionen, zu denen man damals sicherlich noch
genötigt war, zu lösen und diese sogar in perfekter Form zu unterlaufen.
Wenn eine der Hauptfiguren - dieser Bruno Tiches - am Ende des Films in
einen Fahrstuhlschacht fällt und stirkbt, dann führt der Filmemacher
das HappyEnd ad absurdum, in dem er gleich die Bilder der Beerdigung
zeigt, zu der alle einflüssreichen Persönlichkeiten aufmarschiert sind
und dem "verdienten Deutschen" das letzte Geleit zu erweisen. Müller
erwähnt dann noch, dass es so viele kaputte Fahrstühle leider nicht gibt
um diesen Opportunisten, der immer die Gesinnung folgt, die gerade "in"
ist.
Man kann vielleicht kritisieren, dass es in Sachen
Vergangenheitsbewältigung dem "Mitläufer" relativ leicht gemacht wird,
sich in diesem filmischen Spiegelbild nicht zu erkennen. Dennoch zähle
ich diesen Nachkriegsfilm über die gewisse Machtlosigkeit der
Anständigen, die dem Aufstieg der unmoralischen und dummen Nazis leider
nichts entgegensetzen können, zu den besten deutschen Filmen der 50er
Jahre. Auch wenn die Resignation gegenüber dieser starken Opportunisten
schon ein bissel traurig macht.
Der Film beginnt im Jahr 1913 -
in Neustadt, einem kleinen Ort in der Provinz steht ein großes Ereignis
bevor. Ein Ballonfahrer soll anlässlich der Einweihung des
Völkerschlachtdenkmals den Flug nach Leipzig wagen, um dem geliebten
Kaiser Wilhelm I die Ehre zu erweisen. Dort sind auch die beiden Jungen
Hans Boeckler und Bruno Tiches zugegen, die beide Lausbubenstreiche im
Kopf haben. Doch Hans wird erwischt und bestraft, seinem
Klassenkameraden Bruno gelingt es aber ungesehen in den Korb des Ballons
zu klettern. Als der Ballon nur wenige Meter entfernt notlanden muss,
wird Bruno zum Helden seiner Mitschüler und seiner Lehrer.
Die
Lebenswege der beiden kreuzen sich immer wieder. Hans Boeckler
(Hansjörg Felmy) studiert in den 20er Jahren unter schwierigen
wirtschaftlichen Bedingungen Philosophie in München. Bruno Tiches
(Robert Graf) schließt sich der NSDAP an und macht im Laufe der Jahre
dort eine rasante Karriere. Hans bleibt sich in dieser Zeit selber treu,
verliert zwar seine erste Freundin Vera von Lieven (Wera Frydtberg),
die mit ihrem Vater emigriert, lernt aber die hübsche Dänin Kirsten
(Johanna von Kosczian) kennen und heiratet sie in Dänemark. Als der
Krieg ausbricht, muss er zurück ins Reich. Nach dem Krieg versucht Hans
mühsam einen neuen Anfang zu machen. Dieser Neubeginn fällt Bruno Tiches
umso leichter. Mit seinem Schwarzmarkgeschäft hat er sich schon wieder
bestens angepasst...
Schon die erste Szene ist symptomatisch
für die zukünftige Entwicklung der beiden unterschiedlichen
Protagonisten. Während Hans Boecker bestraft wird, wird Bruno gefeiert
und belohnt.
Im Wirtschaftswunderland steht am Ende dann der
erfolgreiche Geschäftsmann Tichel unter geändertem Namen, der mit seinem
Geld wieder die Macht hat und Hans Boeckel als Journalist, der die
Taten der Vergangenheit in seiner Zeitung aufdecken will, schon wieder
am kürzeren Hebel sitzt. Kann sich sein Chef die ehrliche und freie
Meinungsäusserung erlauben, wenn der Mann mit Geld und Einfluß die Macht
hat den Schreiber und seine Zeitung vernichtend zu schlagen ?
"Wir
Wunderkinder" lebt von den beiden guten Hauptdarstellern Robert Graf
und Hansjörg Felmy. Vor allem Graf hat seine Rolle so angelegt, dass nie
der Fanatiker sichtbar wird, aber sehr schnell erkennbar sein Gespür
sichtbar wird für den eigenen Vorteil. Sein Charakter strotzt vor
Anpassungsfähigkeit und positiver Selbstdarstellung. Er sieht sich sogar
als einer der den Karren für Deutschland "aus dem Dreck zieht" und
Boeckels damalige Ablehnung der Nationalsozialissten deutet er als
dessen Unfähigkeit sich klar zu positionieren. Somit doch eine nicht zu
unterschätzende kritische Aussage über den Mitläufer und seine Struktur.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.
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