Regie: Josef von Sternberg
Professor Unrat...
Ein Weltstar wird geboren und sogar so ein großer, wie ihn die
Filmgeschichte nicht oft hervorbringen wird: Mit
übereinandergeschlagenen schönen Beinen, bekleidet mit Strapsen,
Glizterkostüm und Seidenstrümpfen singt sie ungeheuer lasziv die
Friedrich Hollaender Songs "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe
eingestellt", "Nimm dich in acht vor blonden Frauen" oder das
temperamentvolle "Ich bin die fesche Lola". Die Männer unten im kleinen
Saal des Nachtlokals "Der blaue Engel" johlen zuerst, dann werden sie
stumm und man hat dann das Gefühl, dass die kleine Tingeltangelsängerin
Lola Lola (Marlene Dietrich) von allen Männern im Saal angebetet wird.
"Männer umschwirn mich wie Motten das Licht und wenn sie verbrennen
dafür kann ich nichts". So ähnlich gehts auch den braven Gymnasiasten
Lohmann (Roland Varno), Ertzum (Carl Ballhaus) und Goldstaub (Robert
Klein-Lörk). Selbst der Primus Angst (Rolf Müller) trägt die Bilder
dieser Sängerin mit sich, die seit einiger Zeit mit ihrem Ensemble in
der Stadt gastiert. Und die werden von Gymnasialprofessor Dr. Rath (Emil
Jannings) während einer Unterrichtstunde entdeckt. Rath hat seine Jungs
mit eiserner Disziplin fest im Griff, für den pedantischen Sonderling
zählt Zucht und Ordnung. So sieht der moralische Sittenwächter auch
gleich die Verdorbenheit vpr sich und natürlich hat er ein Interesse,
dass seine Zöglinge nicht auf die schiefe Bahn abgetrieben werden. Die
verkehren allerdings schon heimlich, aber sehr munter in dem wenig
beleumundeten Lokal. Rath entschließt sich die Künstlerin zur Rede zu
stellen. Doch auch er wird vom Virus "Lola Lola" ergriffen. Während der
Professor zwar noch seine Schüler im Etablissement aufstöbert, hat er in
Lolas Garderobe Platz genommen und als verschrobener Naivling auf dem
Gebiet der Liebe lässt er sich im Nu ganz leicht von ihr um den Finger
wickeln. Am anderen Abend ist er wieder im Lokal und seine Schüler haben
damit auch schon bemerkt, dass nicht mehr ihr Wohlbefinden das Motiv
für Raths Auttauchen darstellt. Am anderen Tag haben sie bereits die
Tafel mit Karikaturen vollgekritzelt, die den Lehrer lächerlich machen
und mit wenig Respekt nennen sie ihn jetzt "Unrat". Da er ihr schon
verfallen ist, verzichtet er nach einer Aussprache mit dem Direktor der
Schule auf Amt und Würden, um seine Angebetete heiraten zu können. Die
willigt ein, obwohl sie ihn bei seinem Heiratsantrag minutenlang
auslacht. Zwar ist das ungebildete Mädchen aus der Unterschicht
geschmeichelt, dass ein älterer Herr aus guten Kreisen um ihre Hand
anhält. Doch genauso weiß sie auch selbst von ihrer Oberflächlichkeit,
wie sie auf Männer wirkt und lässt es zu - durch die Momentaufnahme
seiner Liebe gerührt. Sie weiß aber im Stillen, dass nichts daraus
werden kann. Zumindest nicht auf Dauer. Dennoch läuft das einige Zeit
ganz gut, aber dann stellt sich doch der Überdruß ein. Mit dem Artisten
Mazeppa (Hans Albers) steht bereits ein attraktiver Nebenbuhler bereit.
Mit Rath selbst geht es weiterhin bergab. Er muss sich inzwischen seinen
Lebensunterhalt als Assistent des Chefs und Zauberkünstlers Kiepert
(Kurt Gerron) verdienen. Als Clown darf ihm sein zaubernder Direktor
rohe Eier zur Gaudi des Publikums auf den Schädel schlagen, dazwischen
hat er als Text ein krähendes "Kikeriki" nachzuahmen. Es kommt noch
dicker. Das Ensemble hat wieder einen Vertrag für ein Gastspiel beim
"Blauen Engel" bekommen. Das heißt zurück in Raths Heimatstadt und damit
ist auch ein volles Haus zahlender Gäste sicher. Denn alle wollen den
gefallenen Akademiker auf der Bühne sehen..
Der Film "Der
blaue Engel" entstand 1930 durch den großen Einfluß des damaligen UFA
Chefs Erich Pommer, der leider 3 Jahre später auf Geheiß der Nazis
schmählich aus dem Amt gejagt wurde, obwohl unter seiner Führung dem
Filmstudio noch weitere Welterfolge wie "Die drei von der Tankstelle"
oder "Der Kongreß tanzt" realisiert werden konnten.
Heinrich
Mann lieferte die literarische Vorlage, die aber von Regisseur Josef von
Sternberg in entscheidenden Punkten verändert wurde. Mann hatte in
seinem Roman die Figur des Professor Rath als machtlüsternen und sexuell
verklemmten Spießbürger gezeigt, der seine Moral nur vortäuscht. Im
Film ist Rath aber ein gar nicht mal so unsympathischer Sonderling,
lediglich wirkt er etwas weltfremd und linkisch. Lediglich beim
Schulunterricht gibt sich Rath als wilhelminischer Erfüllungsgehilfe,
der seine Schüler mit Drill und Rohrstock die preußischen Tugenden nahe
bringt. Jannings, der bereits zu dieser Zeit einen Oscar als bester
Schauspieler erringen konnte, läuft in "Der blaue Engel" zur
schauspielerischen Höchstform auf, dennoch ist der Film ein Marlene
Dietrich Film. Ihre Mischung aus Femme Fatale und Unschuld wurde eine
der nachhaltigsten Frauenrolle der Filmgeschichte. Mit ihrem Auftritt
hielt der Tonfilm Einzug ins Kino. Lola steht für eine neue Zeit. Ihr
Partner verkörpert das Vergangene. Schön zu sehen bei der in den
Zwischenabschnitten eingeblendeten mittelalterlichen Spieluhr mit
faszinierenden Totentanz-Figuren. Es ertönt das preußische Glockenspiel
"Üb immer Treu und Redlichkeit" - eine Mahnung an den alten Geist, der
vom neuen völlig überrannt wird und gegebenenfalls von ihm getötet wird.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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