Freitag, 1. April 2016

Fahrraddiebe



 

 

 

 

 

 

 

 

 

Regie: Vittorio de Sica

Die Odysee von Vater und Sohn...

Vittorio de Sica drehte sein Meisterwerk "Fahrraddiebe" (Original: Ladri di Bicilette) im Nachkriegsjahr 1948 mit Laien auf den Straßen von Rom. Man wird sehr wehmütig, wenn man diesen großartigen Klassiker ansieht, denn solche Filme werden heute leider nicht mehr gedreht.
Dabei ist es eine denkbar einfache Geschichte, die sich auf zwei Ebenen abspielt. Einerseits entstand aufgrund der Fülle von Schauplätzen und Situationen ein überzeugendes und atmosphärisch dichtes Panorama italienischer Wirklichkeit aus jeden Tagen. Die Armut und die hohe Arbeitslosigkeit sind allgegenwärtig. Da wird dem Zuschauer ein Einblick in eine riesige Lagerhalle geboten, in der sich bis zur Decke Tausende von kleinen, zusammengeschnürten Bündeln auf Eisenregalen stapeln. Der Mitarbeiter klettern ohne Hilfe einer Leiter auf diesen Regalen herum, um die neue gebrauchte Ware dort zu lagern. Ein sehr eindringliches Bild in diesem Pfandhaus, denn die hungernden Menschen geben dort ihre letzten Habseligkeiten ab, damit sie was auf dem Teller haben. Ein trauriges Bild. Für den kleinen Arbeiter kann ein geringfügiges Mißgeschick gleich zur Existenzfrage werden. Man wird bestohlen und in der Verzweiflung wird man selbst zum Dieb...der Kreis schließt sich ein armer Teufel wird von einem anderen armen Teufel beklaut. Die zweite Ebene ist das Verhältnis der beiden Hauptfiguren Vater und Sohn, die Beziehung leidet aber im Laufe der Handlung unter der zunehmenden Verzweiflung des Vaters. Am Ende wird der kleine Junge die dramatische Situation seines Vaters mit ganzer Wucht begreifen.
Um seine Familie durchzubringen, hat Antonio Ricci (Lamberto Maggiorani) sein Fahrrad im Pfandhaus abgegeben. Die Arbeitslosgkeit zwang den gelernten Maurer zu diesem Schritt. Doch nun hat er die Chance als Plakatkleber für die Stadt einen sicheren und guten Arbeitsplatz zu bekommen. Die einzige Voraussetzung ist, dass er ein Fahrrad hat. Denn er muss in der ganzen Stadt Plakate aufhängen und das geht zu Fuß sehr schlecht. Mit dem letzten Besitz, der Bettwäsche, lösen er und seine Frau Maria (Lianella Carell) wird das wichtige Gefährt wieder ausgelöst. Stolz fährt Antonio am ersten Arbeitstag los, er setzt seinen 7jährgen Sohn Bruno (Enzo Staiola) an der Tankstelle ab, wo der sich ein paar Lire verdienen kann. Nun beginnt das Plakate-Ankleben. Das Filmposter "Gilda" mit dem Portrait der Leinwandgöttin Rita Hayworth muss nun ohne Falten an die Wände geklebt werden. Doch bereits nach einer Stunde wird ihm sein Rad, die Existenzgrundlage, von einem Dieb (Vittorio Antonucci) gestohlen. Er kann entkommen, denn möglicherweise arbeitet er zusammen mit einer ganzen Band von routinierten Fahrraddieben. Nun folgt am anderen Tag eine durch absurde Hoffnung angetriebene Odysee durch das Rom der Trödelmärkte an der Porta Portese. Mit dabei seine Freunde und der kleine Bruno. Doch so einfach ist es nicht ein gestohlenes Fahrrad wieder zu beschaffen. Was folgt ist eine Suche in der Vorstadt mit all ihren Trattoiren und Tavernen. Die Hektik der Stadt ist spürbar, ebenso die Verzweiflung von Sohn und Vater, die an verschiedenen Schauplätzen wie Kirchen, Laientheatern, Bordellen oder Fußballstadien vorbeikommen. Als er den Dieb tatsächlich stellen kann, fehlt ihm aber der Beweis. In seiner Verzweiflung schickt er Bruno heim und versucht selbst ein Rad zu stehlen. Er wird aber auf frischer Tat gefasst und gestellt. Bruno, der sich noch in der Nähe seines Papas aufhielt, wird am Ende zur Schlüsselfigur der Geschichte. Er sieht wie fremde Leute seinen Vater beschimpfen...
 



Und wird am Ende zum Helden der Geschichte, denn seine Tränen sorgen dafür, dass der Bestohlene von einer Anzeige absieht. Die letzte Enstellung zeigt Vater und Sohn in eine ungewisse Zukunft laufen. Bruno fasst den Vater an der Hand. Ein extrem schöner und auch trauriger Film. Es gibt nur wenige Filme, die eine so hohe emotionale Nachwirkung entfalten wie "Fahrraddiebe" - ein Meisterwerk ohne Frage. Der Film zwar zuerst nicht der große Kassenerfolg im Heimatland, aber gewann zunehmend durch seine Wertschätzung bei der internationalen Kritik mehr und mehr Beliebheit, was ihn dann auch langsam aber sicher doch noch zu einem langfristigen Publikumserfolg machten. Das großartige Werk gewann den Oscar als bester ausländischer Film und konnte sogar bei der ersten Umfrage der rennomierten Filmzeitschrift "Sight & Sound" im Jahr 1952 den ersten Platz als bester Film aller Zeiten belegen. In der aktuellen Umfrage im Jahr 2012 war er auch unter den besten 10 Filmen zu finden. Ein Urteil, dass ganz und gar verdient ist. "Fahrraddiebe" ist für mich noch vor "Der Leopard" und "La Strada" der besten italienische Film aller Zeiten, sicherlich einer der Filme für die Insel, wenn man nur eine Handvoll der Besten mitnehmen darf.
 



 Bewertung: 10 von 10 Punkten.

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