Regie: Jacques Rivette
Verschwörung und Entwurzelung...
Gedreht wurde "Paris gehört uns" schon im Jahr 1958, doch erst drei
Jahre später kam der Erstling von "Nouvelle Vague" Regisseur Jacques
Rivette in die französischen Kinos. Der Film entpuppte sich als
kommerzieller Reinfall - möglicherweise hing dies mit dem Bild der
französischen Hauptstadt zusammen, wie der Regisseur es zeichnet:
Trostlos und bedrückend als eine anonyme Metropole der Einsamkeit, die
"niemandem gehört" wie der Dichter Charlees Peguy am Anfang zitiert
wird. Es ist ein Ort der Entwurzelten und optisch ein dunkles
Niemandsland. Rivette, der am 1. März 1928 in Rouen geboren wurde, kam
über die Literatur zum Film - dies merkt man seinem Debüt auch an, die
Theaterwelt spielt eine wichtige Rolle. So studieren die Protagonisten
des Films Shakespeares "Perikles" ein, sozusagen als Ausgleich eines
Lebens in gewisser Lethargie und lähmender Spannung.
Die Hauptfigur ist die junge, noch naive Studentin Anne (Betty
Schneider), die neu in der Stadt ist und zum Glück ein kleines Zimmer
gefunden hat. Ihr Bruder Pierre (Francois Maistre) hat Beziehungen und
führt die junge Frau auch in seine Clique von gelangweilten
Intellektuellen ein. Die meisten der jungen Leute leben im Exil oder
sind Immigranten und wirken entfremdet - man hat nicht das Gefühl, dass
sie überhaupt irgendwo dazugehören. Eine bunt zusammengewürfelte
Gemeinschaft, die darüber schockiert ist, dass der Musiker Juan aus
Spanien tot ist. Der Exilanarchist hat die Musik zum Shakespeare Stück
geschrieben, dass Gerard (Gianni Esposito) inszenieren will. Der
Amerikaner Philipp (Daniel Grochem) glaubt jedenfalls felsenfest daran,
dass e Mord war und Juan das Opfer einer weltumspannenden faschistischen
Verschwörung wurde. Andere in der Gruppe deuten den Suizid anders. Ein
Maler glaubt, dass Nihilismus und Verbitterung Juan in den Tod getrieben
hat. Jedenfalls ist Anne von der neuen Clique manchmal gelangweilt,
aber irgendwo doch fasziniert - zumal Gerard sie für sein Stück spontan
verpflichtet und ein gewisses Interesse an ihr zeigt. Sie hat auch
Gefallend daran der Verschwörungstheorie des Amerikaners nachzugehen, so
wird Anne ganz langsam auch Ermittlerin in der wüsten Verschwörung.
Diese hat auch eine gewisse mystische Komponente, denn in der ersten
Szene in ihrem kleinen Zimmer hört Anne im Nebenraum Geräusche. Sie
findet dort eine Spanierin, die sagt, dass ihr Bruder Juan gerade von
dunklen Mächten getötet wurde.
Es wird auch orakelt, dass Gerard ebenfalls bald sterben wird. Sehr
geheimnisvoll ist die Femme Fatale Terry (Francoise Prevost), die mit
jedem der Männer schon ein Verhältnis hatte und die vermutlich mehr weiß
als sie sagt. Gerard glaubt jedenfalls, dass Terry das Tonband mit
Juans Bühnenmusik hat verschwinden lassen. Anne will Gerard retten, denn
inzwischen hat sie sich auch in ihm verliebt. Sie hat das Gefühl, dass
auch ihr Bruder mit dieser Sache zu tun hat, so hat sie nur den
Schauspieler Jean-Marc (Jean Claude Brialy), der ihr helfen könnte Licht
ins Dunkel zu bringen...
Auch wenn gegen Ende die Ereignisse dramatisch werden, ist es doch
sichtbar, dass alle geheimnisvollen Ereignisse Folgen von banalen
privaten Intrigen sein könnten. Oder doch nicht ? Jedenfalls hat es
Rivette geschafft die Realtiät irgendwie ins Zwielicht zu rücken. Der
Zuschauer ist ratlos wie Anne und ist gespannt was hinter allem steckt.
Interessanterweise hat der Regisseur durch die Einflechtung eines
ominösen Diktatorensyndikat, dass die Weltherrschaft anstrebt und alle
freiheitlichen Elemente in ein Konzentrationslager stecken will, sehr
viel Zeitgeist in seinem Film aus den Endfünfzigern wie etwa das Trauma
Faschismus oder auch die spürbare Paranoia einer Endzeit, bedingt durch
Wettrüsten und Atombomben. Daneben der hilflose Mensch, der sich
irgendwie treiben lässt. Das Gesicht des Films ist die pausbäckige Betty
Schneider, die zwischen Verspieltheit und Geheimnis der Handlung, eine
Art Anker für den Zuschauer bedeutet.
Bewertung: 10 von 10 Punkten.
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