Regie: Wolfgang Staudte
In den Trümmern von Berlin...
Wolfgang Staudtes 1946 entstandener Trümmerfilm "Die Mörder sind unter uns" ist nicht nur der erste Film der Nachkriegsgeschichte, er ist auch der erste DEFA Film und durch die expressionistisch geprägten, kontraststarken und von großflächigen Schattenzonen gekennzeichneten Kameraeinstellungen sogar ein Verwandter des Film Noir. Die Bilder der zerbombten Stadt erinnern zudem an den Neorealismus im italienischen Film. Das Szenario wirkt halb-dokumentarisch und zeigt eindrücklich ein vom Krieg und Faschismus zerstörtes Land. Nicht nur die Stadt liegt in Trümmern, auch die Menschen dieser Stadt sind traumatisiert und bewegen sich beinahe schon schlafwandlerisch durch die Ruinen. Es ist 1945, Berlin ist ein Trümmerhaufen, aber das Dritte Reich ist Vergangenheit. Ziellos irrt der ehemalige Chirurg Dr. Hans Mertens (Wilhelm Borchert), ehemals Truppenarzt an der Ostfront, durch die zerstörten Straßen, inmitten der Panzerwracks, wo sich spielende Kinder aufhalten. Ein Cafe bietet schon wieder "Tanz, Stimmung und Humor" an. Doch in dem Haus, wo er eine Wohnung bezogen hat, ist es düster. Die anderen Bewohner zerreißen sich schon das Maul über seine Alkoholsucht. Immer wieder kehren Leute mit dem Zug heim in ihre Stadt. Darunter befindet sich auch die junge Susanne Wallner (Hildegard Knef), eine Werbegrafikerin, die für vier Jahre in einem Konzentrationslager inhaftiert war. Sie ist die Eigentümerin der Wohnung, in der Mertens derzeit wohnt. Der alte Optiker Mondschein (Robert Forsch) ist der einzige, der sich über das Wiedersehen mit der jungen Frau freut. Er hat die Schrecken des Kriegs überlebt und wartet in seinem hohen Alter auf die Heimkehr seines verschollenen Sohnes. Andere Mieter wie der dubiose Wahrsager Bartolomäus Timm (Albert Johannes) beobachten neugierig ihr Umfeld. Susanne lässt Mertens weiterhin bei sich wohnen, der allerdings lieber alleine sein möchte. Doch zwischen den beiden entsteht ein bisschen was wie Freundschaft. Susanne verliebt sich sogar in den unnahbar wirkenden Mann, der in den Tag lebt.
Um sie herum agieren die Menschen ähnlich. Sie irren alle noch ziellos durch eine gespenstische Szenerie. Die Stadt soll und muss wieder aufgebaut werden, aber wo soll man anfangen? Mitten in dieser gewaltigen Wunde, die der Krieg gerissen hat, kommt auch die Vergangenheit wieder hoch - noch verstärkt durch einen Brief, den Susanne in der Wohnung auf dem Boden findet, der an eine Frau Brueckner (Erna Sellmer) gerichtet ist, deren Mann ihr den Brif vor seinem Tod geschrieben hatte. Als sie Mertens darauf anspricht, reagiert er extrem verärgert. Susanne gibt den Brief bei der Frau ab und erfährt aber überraschend, dass deren Mann Ferdinand Brueckner (Arno Paulsen) nicht nur am Leben ist, sondern sogar bei bester Laune inzwischen zum Boss einer Firma wurde, die aus Stahlhelmen Kochtöpfe gewinnbringend herstellt. Einer der dynamischen Antreiber für den Neuaufbau Deutschland. Brueckner war im Krieg Hauptmann der Wehrmacht und Vorgesetzter von Borchert. Es kommt zum Zusammentreffen. In einer Rückblende erfährt der Zuschauer von Brueckners grausamen Schießbefehl an einem Weihnachtsabend des Jahres 1942...
Das Thema des Films ist "Schuld und Sühne". Mit dem bürgerlichen Täter Brueckner charakterisierte Staudte sehr genau den Typus, der ohne Probleme wieder in den Alltag zurückfand und damit auch von den Verhältnissen profitierte. Das Erschreckende an seiner Person liegt darin, dass er sich tatsächlich keiner Schuld bewusst ist, sich nicht mit den Dämonen der Vergangenheit herumschlagen muss, sondern offen und zukunftsgewandt auf seine Mitmenschen zugeht, auch auf Mertens, der unter ihm gedient. Staudte gestaltet diese Figur ambivalent und so differenziert, dass es sogar der aktive und dynamische Brueckner es ist, der Mertens im Lauf der Geschichte auch dazu bringt sich positiv zu verhalten und einer Mutter, die in den Trümmern lebt zu helfen, deren Kind keine Luft mehr bekommt. Bis zu diesem Zeitpunkt war er nicht in der Lage gewesen, wieder als Arzt zu arbeiten.
Staudtes Film gilt als einer der ganz großen Klassiker des deutschen Films und orientiert sich stilistisch am deutschen Expressionismus und parallel zur Schwarzen Serie in den USA, die nahezu gleiche Orte und gleiche Charaktere abbildet. Die Ruinen der Großstadt sind gleichzusetzen mit dem eigenen Innern. Der Held ist traumatisiert und mit dem Geistern des Gestern konfrontiert.
Und wie in den US-Metropolen ist in Berlin die Schattenwelt der Nachtclubs, wo es Alkohol, Zigaretten und leichtlebige Frauen gibt, jene erste Adresse, die Mertens aufsucht.
Zusätzlich ist die Geschichte der Menschen, die das Miteinander verloren haben und in der Trümmerlandschaft danach suchen, ein sehr interessantes Zeitdokument. Staudte drehte im zerbombten Berlin und die Geschichte entlässt den Zuschauer mit Unsicherheit und Zerbrechlichkeit. Die Menschen sind noch nicht in der Lage, über das Erlebte zu sprechen. Das Lebensgefühl von damals in diesen Tagen nach dem Krieg ist gut und intensiv eingefangen.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.
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