Regie: Roberto Rossellini
Edmunds Leben in Ruinen...
"Deutschland im Jahre Null" aus dem Jahre 1948 war nach "Rom,
offene Stadt" (1945) und "Paisa" bereits der dritte Film, in dem sich
der Filmemacher Roberto Rossellini mit den Auswirkungen des
Nationalsozialismus beschäftigte. In dem in Deutschland entstandenen
Trümmerfilm zeichnet er ein realistisches Bild des Nachkriegseuropas.
Der Film erhielt auf dem Festival in Locarno den Hauptpreis und den
Preis für das beste Drehbuch. Die Bilder des Sommers 1947 aus einem
völlig zerbombten Berlin bleiben im Gedächtnis. Zeitgleich drehte auch
Billy Wilder in der deutschen Metropole, wobei sein Film "Eine
auswärtige Affäre" völlig anders - als eine rabenschwarze Satire auf das
deutsch-amerikanische Verhältnis kurz nach dem Krieg - angelegt war.
Rossellinis
Berlin Film ist düster und zeigt das Dasein der Überlebenden, die
völlig im Schutt in alten Ruinen hausen. Ein Abbild des physischen
Berlins - mit dem Wechselbild aus Licht und Schatten nimmt ein
psychologisches Epos Gestalt an. Es ist die Geschichte des 12jährigen
Edmund (Edmund Möschke), der in diesem Labyrinth zuhause ist - aber
ständig in Bewegung bleibt. Der Junge muss wohl oder übel für seine
Famlie sorgen. Doch Arbeit gibts mit 12 Jahren noch nicht. Sein Vater
(Ernst Plittschau) ist herzkrank und bettlägerig. Der ältere Bruder
Karl-Heinz (Franz Otto Krüger) versteckt sich, weil er Angst hat als
ehemaliger Wehrmachtssoldat in Kriegsgefangenschaft zu kommen. Schwester
Eva (Ingetraut Hinze) ist für den Haushalt zuständig.
Abends
trifft sich die junge Frau in Begleitung ihrer Freundinnen häufig mit
Soldaten der Besatzungsmächte. Mehrfach wird ihr von Leuten aus ihrer
Umgebung empfohlen, sich intensiver mit den Soldaten einzulassen. Doch
sie schreckt vor diesem Schritt zurück. Es genügt ihr etwas Zerstreuung
zu finden und an jedem Abend einige Zigaretten mit nach Hause bringen zu
können.
Da Karl Heinz sich nicht registrieren lässt, erhält
er logischerweise auch keine Essenskarte, geschweige denn eine
Arbeitserlaubnis. In der Familie leben daher vier Personen von drei
Essenskarten, was die ärmlichen Verhältnisse noch gravierender macht.
Im
Haus hat der Besitzer Herr Rademacher (Hans Sanger) das Sagen. Er
bekommt in diesen Notzeiten Mieter vom Wohnungsamt zugeteilt und man
merkt ihm an, dass er seinen Mietern gegenüber sehr misstrauisch gesinnt
ist. In diesen Notzeiten sind Diebstähle und Unterschlagungen an der
Tagesordnung.
Eines Tages trifft Edmund zufällig auf seinen
früheren Lehrer Herr Enning (Erich Gühne). Mit seiner
nationalsozialistischen Vergangenheit ist ein Berufsverbot ausgesprochen
worden. Er hält sich mit Hehlerei über Wasser und betätigt sich in
einem sonderbaren Pädophilenring als Zulieferer. Dieser Lehrer plädiert
weiterhin für die Lehren der Nazis, dass nur der Starke überleben wird
und die Schwachen auszumerzen sind. Da der Vater sich selbst den Tod
wünscht, keimt in dem kleinen Edmund ein fataler Gedanke auf...
Fast
alle Erwachsenen in Rossellinis düsterem Berlinfilm sind in dieser
Stunde Null an einen Punkt angelangt, wo nur noch das eigene Überleben
gesichert sein will. Ein eigenartiges Karussell, die Menschen agieren
wie in einem Todesballet. Dabei steht der kleine Edmund als Held und
wichtiges Individuum (er steht für einen Neuanfang) unter dem Mikroskop
des Filmemachers. Oft ist sein Spielplatz der berühmte Neptun-Brunnen.
Aber zeit für das kindliche Spielen wird ihm nicht viel gewährt, er muss
erwachsen sein. Mit den Jugendlichen Thilde (Barbara Hintz) und Jo (Jo
Herbst) macht er ein bisschen Geld auf dem Schwarzmarkt und sieht, dass
sich Diebstahl auch auszahlt. Am Ende wird die Geschichte sehr radikal.
Denn - obwohl jugendlicher Hoffnungsträger - ist Edmund auch mit seinem
eigenen Schatten konfrontiert. Dieser Doppelgänger steht für das
vergangene Regime. Die beiden Komponenten lassen den jugendlichen
Protagonisten am Ende in seinem Konflikt explodieren. Es folgt die
Flucht und die konsequente Zerstörung.
Das Fortleben der
Monster in eines der Themen in dem Film. Der Film sucht Antworten in
dieser Zusammenbruchsgesellschaft. Diese ehemals propagierte
Volksgemeinschaft wandelt nun in den Ruinen beinahe wie in der Steinzeit
beinahe ziellos umher, anarchistische Zustände herrschen vor. Dort in
den Ruinen leben diejenigen, die noch einmal davongekommen sind. Aus
diesem Klima überlebt man mit Tricks und List.
Bei seinen
Erkundungsfahrten durch die zerstörte Stadt fand Rossellini seinen
Laiendarsteller, die selbst alle noch unter dem Schock des Krieges
standesn. Kompromisslos in der Aussage und neorealistisch in seiner
Darbietungsform überzeugt der Film durch seine große Authentizität. Die
Kameraaufnahmen des zerbombten Berlin machen "Deutschland im Jahre Null"
zudem zu einem erschütternden und sehr wichtigem Zeitdokument. Neben
"Die Mörder sind unter uns" von Wolfgang Staudte ist dies sicherlich der
wichtigste der Trümmerfilme.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.
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