Regie: Benjamin Christensen
Hexen und Dämonen...
Auch wenn in den Kindertagen des Films der deutsche Horrorfilm (Das Cabinett des Dr. Caligari, Nosferatu, Der Golem) das Maß aller Dinge war, darf man dennoch den 1922 in Schweden gedrehten "Häxan" des dänischen Filmemachers Benjamin Christensen nicht vergessen.
Christensen versuchte mit seinem halbdokumentarischen Film anhand des mittelalterlichen Hexenglaubens eine Analogie zu modernen psychischen Krankheiten wie Kleptomanie oder Hysterie zu ziehen. Die Handlung ist in sieben wichtige Abschnitte oder Kapitel unterteilt, die teilweise abstrus, aber immer sehr phantasievoll inszeniert wurden. Der Filmemacher ließ es sich nicht nehmen den Teufel selbst zu spielen und verfasste auch das originelle Drehbuch. Ein Erfolg wurde der Film bei seinem Kinostart nicht, denn dafür war er zu sehr Skandal. Der Essay-Film galt als heftiger Angriff auf die katholische Kirche, man war ihm vor, dass er die Geschichte verfälschen würde. Dabei wollte Christensen doch eher ein historischen Phänomen in seinen psychologischen Auswirkungen darstellen und dies ist ihm m.E. mehr als gut gelungen. Unter Einsatz von ganz verschiedenen Stilmitteln gelang ihm ein nach wie vor faszinierendes Stummfilm Kleinod. Die einzelnen Kapitel bestehen aus Bilddokumenten, Höllendiagrammen (inklusive Lehrerzeigestock), Großaufnahmen von mittelalterlichen Folterinstrumenten, Modellen und eindringlichen Spielszenen. Thematisch reicht das Material von der Hexerei und Teufelsanbetung des alten Persiens, über das Mittelalter bis hin Anfang der 20er Jahre. Das Werk schwankt genial und auch heute noch sehr kraftvoll, teils als ernsthafte akademische Studie über uralte Ängste und Aberglauben, teils als wollüstiger Horrorfilm, hin und her. Dabei sind es vor allem Bilder mit einer suggestiven Kraft, die dem Film eine unheimliche Atmosphäre geben.
Im ersten Abschnitt präsentiert der Regisseur einen Bildervortrag über Hexerein und Dämonologie aus Persien, Ägypten bis ins europäische Mittelalter. Das zweite Kapitel spielt im Jahr 1488 und Maria, die Hexe (Maren Pedersen) braut einen Liebestrank - aus einer Fülle unappetitlicher Details wie Kadaver, Leichenteile, Schlangen, Kröten und Insekten. Eine alte Jungfer will mit dem Trank einen dicken Mönch (Oscar Stribold) zur Lust animieren. Eine schöne Frau liegt neben ihme Mann im Bett. Am Fenster erscheint der Teufel (Christensen), sie streckt lüstern die Arme nach ihm aus und er drückt sie an sich.
Kapitel drei führt den Zuschauer ins mittelalterliche Deutschland. Die junge Anna (Astrid Holm) glaubt, dass ihr erkrankter Mann Jesper wäre verhext. Während sich Annas Mutter (Elisabeth Christensen) und Annas Schwester (Karen Winther) um den Kranken kümmern, gibt Anna einer alten Bettlerin (Emmy Schönfeld) etwas zu Essen. Als sie in die Augen der armen Frau blickt, meint sie, dass sie den bösen Blick Satans entdeckt hat und sie denunziert die Frau bei der heiligen Inquisition. Die alte gesteht in Kapitel Vier aus Angst und Folter Kinder vom Teufel empfangen zu haben und an einem Hexensabatt teilgenommen zu haben. Sie beschuldigt aber auch ihre Anklägerin und deren Familie. So entsteht die schreckliche Kettenreaktion. Kapitel Fünf zeigt einen beteiligten Mönch (Elith Pio), bei dem die Tochter des Kranken Gelüste geweckt hat, lässt sich zur Rettung seines Seelenheiles auspeitschen. Der Tochter des Kranken droht nach einem erzwungenen Geständnis der Scheiterhaufen.
Im sechsten Abschnitt des Films werden die damals üblichen Folterwerkzeuge vorgeführt, wie zum Beispiel Daumenschrauben, Streckbänke sowie Gürtel mit Stacheln an der Innenseite. Ausserdem ein Ausbruch von kollektiver Hysterie in einem Nonnenkloster. Der letzte Abschnitt stellt eine Verbindung zur Moderne her. Das 20. Jahrhundert und Kleptomanie, Schlafwandeln oder Hysterie...
Leider gibt es das nordische Stummfilm-Meisterwerk nur in Originalsprache mit englischen Untertiteln. Dabei gibt es viel zu Lesen, denn "Häxan" ist nicht der typische Stummfilm, der nur alle 2 bis 3 Minuten einen Zwischentitel präsentiert. Insgesamt begleitet den Film eine große Faszniation. Dies liegt m.E. darin, dass der Film den zwiespältigen Blick auf Wissenschaft und Aberglaube bis zuletzt beibehält. In Deutschland wurde der Film gleich nach seiner Premiere 1924 verboten. Der Regisseur wusste sicherlich um die Wirkung seiner surrealen Bilder. Etwa wenn ein Zug von Dämonen aller Art, manche menschlich, manche in Tiergestalt, die Szene betritt. Oder wenn der Zuschauer Zeuge wird einer Geburt von zwei ungeheuerlichen Dämonen.
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