Dienstag, 23. August 2016

Das Wunder von Mailand

Regie: Vittorio de Sica

Das Märchen vom Findelkind Toto...

In den Jahren zwischen 1946 und 1952 hat Vittorio de Sica wahrscheinlich seine berühmtesten Filme gedreht. Neben "Fahrraddiebe" sind die "Schuhputzer", "Umberto D." und das Märchen "Das Wunder von Mailand".
Es ist allerdings ein modernes Märchen mit den Elementen des Neorealismus. Ein Märchen, dass die Realität nicht mißachtet. Es schildert wie viele Filme dieser Gattung das Elend und die Armut der Menschen und stellt diesen sozial nicht gerade begünstigten Zeitgenossen skrupellose Reiche gegenüber, die durch ihre Macht das Gesetz auf ihrer Seite haben. "Das Wunder von Mailand" erinnert stellenweise an die Filme Chaplins, sein Held Toto hat ähnliche Züge wie der Tramp. An machen Stellen fährt der Film haarscharf am Kitsch vorbei, aber einem Märchen erlaubt man das. Und das oft kritisierte Ende mit dem Ritt auf dem Besen in den Himmel kann auch am Ende übersetzt werden mit einem unerfüllbaren Wunschtraum für diese Menschen. Denn die Wirklichkeit kann nur anders aussehen als dieses schöne HappyEnd durch eine übergeordnete Kraft.
Die religiöse Verwandschaft des Märchens beginnt auch schon in der Anfangsszene als die alte skurille Lolotta (Emma Gramatica) in ihrem Garten, nahe eines Flußes, zwischen dem eigenen Blumenkohl ein kleines Baby findet. Wie Moses in seinem Binsenkörbchen nimmt die alte Frau den Jungen auf und nennt ihn Toto (der junge Toto wird von dem 11jährigen Gianni Branduani gespielt). Die Alte weiße Frau lernt ihm das Einmaleins und wenn Toto mal die Milch verschüttet, gibts keinen Ärger, sondern beide tanzen und hüpfen an dieser Stelle auf dem Boden. So wird aus Toto ein herzensguter Junge. Als die alte Dame stribt, wird der Junge in ein Waisenhaus gesteckt. Als Volljähriger (Francesco Golisano) wird er entlassen. Seine Lebensfreude ist geblieben und er grüßt freundlich die wildfremden Menschen auf der Straße, die ihm auf seinem Weg ins Ungewisse begegnen. Statt Freundlichkeit erntet er aber Unverständniß bis hin zu Unfreundlichkeit. Als ein Obdachloser ihm seine Tasche klaut, verfolgt Toto den Mann und stellt ihn zur Rede. Als der arme Mann traurig die Tasche wieder hergibt, hat Toto Mitleid und schenkt dem Fremden die Tasche. Dieser lädt ihn ein in seine erbärmliche Behausung in einer Barackensiedlung am Stadtrand, wo Toto übernachtet. Dort wird sehr schnell seine freundliche Art geschätzt. Toto schafft es mit seinem Wesen die Menschen dort etwas glücklicher zu machen. Er wird Lehrer dieser Obdachlosen und gemeinsam gestalten sie die ärmlichen Behausungen um, sie versehen jede  Blechunterkunft mit einem Straßennamen und Nummer. Die Nummern bestehen aus Rechnungen aus dem Einmaleins. So lernen die Kinder auch etwas. Bei einem Volksfest, dass die Armen veranstalten, wird plötzlich eine Erdölquelle auf dem Gelände entdeckt. Davon bekommt der reiche Besitzer Mobbi (Guglielmo Barnabo) Wind und mit einem Aufgebot an Polizisten versucht der Unternehmer die Menschen aus ihren primitven Hütten zu vertreiben - notfalls auch mit brutaler Gewalt. Nur gut, dass Totos verstorbene Ziehmutter ihm eine weiße Taube vom Himmel schickt. Das Tier erfüllt seinem Besitzer jeden Wunsch. So kann er zunächst den geplanten Abriß des Viertels verhindern und den armen Menschen nützliche bis sonderbare Wünsche erfüllen. So erwacht eine Statue zum Leben (Alba Arnova) und macht die Männer wild, für viele Menschen gibt es warme Pelzmäntel, ein Klavier steht plötzlich da und Totos ungeschickte Verehrerin (Brunella Bovo) bekommt endlich Schuhe. Da zwei Engel die Taube wieder an den rechtmäßigen Standort im Himmel bringen, hat das Wünschen auch bald am Ende. Dadurch gelingt es nicht die brutale Realität dauerhaft zu überwinden, aber ein Besenritt per Himmel ist noch drin...


Das Märchenhafte, das sich in einer Fülle von burlesken Szenen und einfallsreichen optischen Spielereien entfaltet, ist aber immer noch so konzipiert, dass der Blick auf die Realität gewahrt bleibt. Insgesamt ist "Das Wunder von Mailand" entwaffend unschuldig und hat eine ganze Menge unvergesslicher Szenen. Der Schluß ist trotz des Himmelsritts eher ernüchternd, denn er offenbart ja schließlich die traurige Erkenntniss, dass alles Böse und schlechte der Welt nur durch ein Wunder oder durch eine Himmelsmacht besiegt werden kann. Er setzt auch der Species des Gutmenschen ein Denkmal. Daher ist diese völlig unegoistische Güte, die Toto verkörpert, auch heute aktuell denn je. Und auch kritisiert wie nie - so ist der Mann, dem Toto nach seinem Aufenthalt im Waisenhaus, auf der Straße grüßt und der extrem unfreundlich auf diese Freundlichkeit reagiert, der Prototyp des modernen Menschen unserer Zeit.



Bewertung. 8 von 10 Punkten.

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