Regie: J. Lee Thompson
Der Mörder und das kleine Mädchen...
J. Lee Thompsons eher ungewöhnlicher Film Noir "Tiger Bay" aus dem
Jahr 1959 erinnert etwas an den Genreverwandten "Ein Kind war Zeuge" von
Charles Crichton, der 7 Jahre früher gedreht wurde. Bei beiden Filmen
handelt es sich um britische Produktionen und J. Lee Thompson konnte
später in den USA mit seinem Meisterwerk "Ein Köder für die Bestie" noch
einmal sein Geschick und seine Könnerschaft in dieser Filmgattung
beweisen. "Tiger Bay" sieht vor allen Dingen hervorragend aus. Die
ersten Bilder vom Schiff, dass in den Hafen von Cardiff eingefahren ist,
und die Kamera auf die ankommenden Matrosen hält, fängt schon
eindrücklich die starke Atmosphäre der Geschichte ein. Einer dieser
Matrosen ist der junge Pole Bronislav Korchinsky (Horst Buchholz) und
nach vielen Monaten auf hoher See endlich seine Freundin Anya (Yvonne
Mitchell) besuchen und bald heiraten will. Die Heuer hat er gespart,
nichts soll dem Glück zu Zweit im Wege stehen. Doch in der alten Wohnung
wohnt ein anderes Mädchen (Shari), die nicht gerade erfreut ist, dass
ein fremder Kerl im Zimmer steht. Vom Verwalter Dr. Das (Marne Maitland)
erfährt er Anyas neue Adresse. Sie wohnt jetzt in einem Mietshaus nahe
den Docks. Dort wohnt auch die 11jährige Vollwaise Gillie Evans (Hayley
Mills), die dem Matrosen den Weg dorthin zeigt. Gillie ist mehr Junge
als Mädchen, spielt lieber mit Spielzeugpistolen statt mit Puppen und
lügt, was das Zeug hält. Ihre Tante Mrs. Phillips (Megs Jenkins) lebt im
gleichen Haus wie Anya, doch sie und alle anderen Mitbewohner halten
nicht viel von der attraktiven Frau, die einen älteren Herrn (Anthony
Dawson) empfängt. Man sagt sich, dass sie sich aushalten lässt. Von all
dem weiß Bronislav nichts, aber die Freude des Wiedersehens wird ganz
schnell getrübt als ihm Anya die Tür öffnet und er sieht, dass der Tisch
für zwei Personen gedeckt wurde. Hat sie etwa einen Anderen ?
Tatsächlich kommt es sehr schnell zum Zerwürfnis und Anya teilt ihm mit,
dass sie jetzt einen Freund mit Geld hat. Dies führt zu Aggressionen,
die Frau nimmt eine Pistole aus der Schublade und versucht auf ihren
früheren Lover zu zielen. Dies misslingt, er bekommt die Waffe in die
Hand und in diesem Moment knallen ihm die Sicherungen durch. Er schießt
mehrmals auf die Frau, die tot auf dem Boden aufschlägt. Jetzt ist nur
noch die Flucht die einzige Möglichkeit. Doch durch den Türschlitz hat
die kleine Gillie die ganze Szenerie als Augenzeugin mitansehen müssen.
Sie kommt sogar an die Tatwaffe und versteckt die Pistole. Bronislav
kann fürs Erste fliehen und Gillie hat nur Augen für die Waffe. Als ihre
Tante die Leiche entdeckt, sagt sie, dass sie überhaupt nichts bemerkt
hat. Sie bleibt auch bei dieser Aussage als sie vom ermittelnden
Kommissar Graham (John Mills) befragt wird. Doch Bronislav will
natürlich die Tatwaffe und möglicherweise will er auch die einzige
Zeugin unschädlich machen...
Horst Buchholz spielt diesen Mörder allerdings mit sehr guten
Charakteranteilen. Der Zuschauer merkt sehr bald, dass das schreckliche
Verbrechen nicht unbedingt im Einklang mit dem Täter Bronislav
Korchinsky steht. Zur fast gleichen Zeit stand der junge Horst Buchholz
in "Das Totenschiff" ebenfalls als Matrose vor der Kamera. Er spielt in
beiden Filmen einen ähnlichen Typen. In beiden Fällen ist es auch eine
flatterhafte Frau, die das Schicksal des Seemanns mitgestaltet.
Hochgelobt wurde aber vor allem das Leinwanddebüt von John Mills Tochter
Hayley, die auf der Berlinale einen Silbernen Bären als Sonderpreis für
ihre herausragende Darstellung erhielt. Ausserdem bekam sie 1960 für
diese Rolle den BAFTA Award als vielversprechendste junge
Schauspielerin.
Natürlich geht "Tiger Bay" nicht ganz als lupenreiner Film Noir
durch. Er ist eher so etwas wie ein Hybrid aus Schwarzer Serie Krimi und
Sozialdrama ala "Die Faust im Nacken". Die Impressionen der Stadt
Cardiff sind jedenfalls hervorragend gelungen und setzt der Stadt sogar
eine Art filmisches Denkmal.
Durch die durchweg perfekten Darstellerleistungen ist der Film auch
heute noch sehr atmosphärisch und sehr schnell sind die Figuren im
Mittelpunkt der Geschichte. In den 80er Jahren wurde J. Lee Thompson zum
Garant für guten Charles Bronson Filme, er drehte für die Cannon Films
Knaller kultfilme wie "Ein Mann wie Dynamit", "Murphys Gesetz"oder "Das
Gesetz ist der Tod".
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