Regie: Jacques Tati
Briefträger Francois und die amerikanische Idee...
Zu den Bewunderern von Jacques Tatis Erstling "Jour de fete"
(deutscher Titel: Tatis Schützenfest) gehörte auch der Stummfilmkomiker
Buster Keaton, der meinte "Tati knüpft an dem Punkt an, wo wir vor
einigen Jahrzehnten stehengeblieben sind".
Tatsächlich knüpft Tati an die großen Vorbilder der
Stummfilmzeit an. Trotz vorhandener Tonspur - in den späteren Filmen von
Jacques Tati wird noch viel weniger geredet als hier - dominiert wie im
Stummfilm das pantomimische Element. Vor dem Dialogwitz sthet immer
zuerst die Situationskomik und der Slapstick. Das zentrale Thema in
"Tatis Schützenfest" aus dem Jahr 1947 ist die Schwierigkeit des
Einzelnen im Umgang mit der modernen Welt und von den Tücken des
Alltags. Jacques Tati spielt den schlaksigen und eher unbeholfenen
Briefträger des kleinen französischen Provinznests Sainte-Severe.
Der Briefträger macht seinen Job mit einer großen Hingabe,
aber er ist auch immer wieder sehr schnell abgelenkt. Vor allem heute,
denn es steht der alljährliche Jahrmarkt an, auf den sich alle freuen.
Die Kinder sehen schon von weitem die Schausteller mit ihren Wägen,
darauf sind auch schon die Pferde des Karussels zu sehen. Kein Wunder,
dass die Kleinen den Wägen hinterherlaufen, bis diese auf dem Dorfplatz
angekommen sind. Eine alte bucklige Frau mit ihrer Ziege beobachtet das
Treiben ihrer Mitmenschen. Der Wirt hat seine Kneipe auf Vordermann
gebracht und im letzten Augenblick die Stühle frisch gestrichen. Der
Bürgermeister begrüßt die Schausteller Roger (Guy Decomble) und Marcel
(Paul Frankeur), die gleich mit dem Aufbau beginnen. Nebenbei macht
Roger dem Mädchen, dass aus dem Fenster schaut (Maine Vallee) schöne
Augen, was seiner Frau nicht verborgen bleibt. So sind sie halt, die
fahrenden Leute...locker und einem Seitensprung nicht immer abgeneigt.
Neben dem Jahrmarkt und dem Karussell gibts sogar noch ein Kinozelt.
Dort soll ein Western gezeigt werden und ein Kurzfilm über die
Leistungen der Post in den USA. Dieses besonders schnelle und effektiv
arbeitende Postverteilungssystem zeigt Briefträger mit Pilotenschein und
als waghalsige Helden, die sich von der Luft aus auf den höchsten
Wolkenkratzer herunter transportieren lassen. Auch Francois, schon etwas
betrunken, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das ist doch was
anderes als den Aufbau der Fahnenstange zu koordinieren wie heute morgen
oder das erfolglose Dosenwerfen von vorhin. Die Schausteller überreden
ihn auch noch zusätzlich, sich ab sofort an diesem US-Vorbild zu
orientieren. Und tatsächlich: Am anderen Tag versucht Francois, der
Briefträger, mit seinem klapprigen Fahrrad das amerikanische Tempo aus
dem Kurzfilm zu übernehmen....
Dies gelingt teilweise grandios, wenn er zum Beispiel seine
Briefe auf der Ladeklappe eines Lastwagens stempelt, um zeit zu sparen
oder auch wenn er so aufgedreht hat, dass er mühelos die Radsportler der
Tour de France hinter sich lässt. Die Tücken sind aber genauso präsent,
denn irgendwann landet er im Fluß oder sein Rad wird von einer
Bahnschranke in die Höhe gehievt. Alles an "Tatis Schützenfest" ist
total orginell und mit wenig anderen Filmen vergleichbar. Es entsteht
nach einer gewissen Eingewöhnungszeit eine Faszination bei der
Betrachtung dieser Dorfchronik, wo das Leben noch in Ordnung ist/war.
Das Szenario ist immer etwas skurril, es hat aber auch einiges an Poesie
zu bieten. So bleibt das Bild der Kinder, die den Wagen der
Schausteller ins Dorf begleiten und am Ende wieder hinaus begleiten, in
Erinnerung - stellvertretend für eine Zeit, die nicht wieder kommt. Tati
hat aber ein kleines Denkmal diesem Dorf und seiner sonderbaren
Bewohner gesetzt.Bewertung: 8 von 10 Punkten.
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