Montag, 20. Oktober 2014

Doktor Schiwago



















Regie:  David Lean

Leben und Sterben in Russland...

"Doktor Schiwago" von David Lean war eines der letzten großen Filmepen von Metro-Goldwyn-Mayer und zählt zu den größten Kinoerfolgen der 60er Jahre. In der inflationsbereinigten Liste der größten Kassenschlager aller Zeiten in den USA steht er nach "Gone with the Wind", "Star Wars", "Sound of Music", "ET", "Titanic", "Die zehn Gebote" und "Jaws auf Platz 8.  Auch in Deutschland gingen damals 12,75 Millionen Zuschauer in die Lichtspielhäuser und damit dürfte dem Revolutionsepos auch hierzulande ein fantastischer All Time Top 10 Rang gesichert sein. Mehr Zuschauer verzeichneten lediglich "Das Dschungelbuch" (27 Millionen), Titanic (18 Millionen) und "Spiel mir das Lied vom Tod" (13 Millionen). Der beinahe 200 Minuten lange Film beginnt mit der Rahmenhandlung, in der General Jewgraf Schiwago (Alec Guinness) in einer großen Fabrik nach der schon seit langem vermissten Tochter seines Halbbruders Jurij (Omar Sharif) und dessen Geliebten Lara (Julie Christie) sucht. Er glaubt in einer jungen Arbeiterin (Rita Tushingham) die Frau gefunden zu haben und zeigt ihr ein Buch mit Gedichten seines Bruders, doch der Anblick der Fotos darin lösen bei ihr keine Erinnerungen aus. In einer Rückblende erzählt er der Waisen von ihren möglichen Eltern. Diese Geschichte beginnt im Jahr 1903, wo im tiefsten Ural die Beerdigung von Jurijs (Tarek Sharif) Mutter stattfindet. Da er auch keinen Vater mehr hat, wird er von Alexander (Ralph Richardson) und Anna Gromeko (Siobhan McKenna) nach Moskau mitgenommen und dort großgezogen. Er studiert als junger Mann Medizin, schreibt Gedichte und plant Tonia (Geraldine Chaplin), die Tochter der Gromekos, zu heiraten. Während dieser Zeit lernt er zum ersten Mal die 17jährige Larissa Antipowa kennen, die heimlich ein Verhältnis mit Viktor Komarovskij (Rod Steiger) hat, dem Liebhaber ihrer Mutter. Der ältere Mann hat Lara verführt und von sich abhängig gemacht. Als die Mutter deswegen einen Selbstmordversuch unternimmt, wird Schiwago als Assistenzarzt zum Retter. Lara unternimmt einen Versuch den vermögenden Viktor zu erschießen, doch der Versuch misslingt und stattdessen heiratet sie ihren Jugendfreund Pawel Antipow (Tom Courtenay), den sie aus der Schulzeit kennt und der für die Revolution schwärmt. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird Jurij an der Front gebraucht, wo er Lara wiedertrifft, die sich freiwillig als Krankenschwester gemeldet hat, um ihren Mann zu suchen. Während dieser Zeit erkennen die beiden ihre Liebe zueinander, doch ihre Wege trennen sich. Jurij kehrt zu seiner Frau und seinen kleinen Jungen zurück. Nach einem notwendigen Umzug der Familie von Moskau auf ein ländliches Anwesen in Warykino trifft Schiwago in einer Bibliothek der benachbarten Stadt Jurjatino wieder auf seine geliebte Lara. Diesmal sind die beiden nicht so stark, denn sie beginnen ein heimliches Verhältnis miteinander. Eines Tages - auf dem Weg von seiner Geliebten heim zu seiner Familie - wird der Mediziner von einigen Rotgardisten entführt, die einen Feldarzt brauchen. Der russische Bürgerkrieg tobt und die Revolution fordert sehr viele Opfer...




David Lean galt zu seiner Zeit als der erfolgreichste Regisseur überhaupt. Diesen Ruf hat er seinen erfolgreichen Großproduktionen wie "Die Brücke am Kwai", "Lawrence von Arabien" und auch "Doktor Schiwago" zu verdanken. Diese Filme waren wie gemacht für die große Kinoleinwand und erlebten zahlreiche Wiederaufführungen - es war die Zeit als das Blockbusterkino noch nicht geboren war. Bereits die Anfangssequenz der Beerdigung ist grandios gestaltet - David Lean war ein Meister im Zusammenwirken von Bild und Ton. Man sieht in einer Totalen die herrliche imposante Landschaft, ganz klein zu sehen der Trauerzug, die den Sarg zur letzten Ruhestätte tragen. Inmitten der Trauergäste ein kleiner Junge, der Wind wirbelt die Blätter von den Bäumen. Dann setzt die unvergessliche Musik von Maurice Jarre ein - ein ganz großer Kinomoment. Und solche gibt es im Verlauf der 197 Minuten reichlich. Kein Wunder, dass bei der Oscarverleihung das herrliche Szenebild (John Box, Terence Marsh, Dario Simoni), die beste Kamera (Freddie Young) , die besten Kostüme (Phillys Dalton) und auch die Musik (Maurice Jarre) ausgezeichnet wurden. Sie tragen in extremer Weise für die edle Gestaltung des Monumentalfilms bei. Darüberhinaus gabs auch eine Trophäe für Robert Bolt, der den vielschichtigen Roman von Boris Pasternak für die Leinwand bearbeitete. Dabei legt er den Schwerpunkt auf die Liebesgeschichte, die sich vor dem Hintergrund größter gesellschaftlicher Umwälzungen abspielt. Omar Sharif wurde mit dieser Rolle weltbekannt, auch Julie Christie wurde zum Big Star. Sie gewann im selben Jahr den Oscar als beste Darstellerin - allerdings nicht für ihre unvergessene Rolle als Lara, sondern als Model Diana Scott in Schlesingers "Darling". "Doktor Schiwago" ist und bleibt einer dieser ganz großen, über allen Zweifeln erhabenen Film-Klassiker aus einer längst vergangenen Zeit und ein Triumph seines Machers David Lean, dessen große Zeit mit diesem Film auch zu Ende ging. Auch wenn er mit "Ryans Tochter" im Jahr 1970 und "Reise nach Indien" aus dem Jahr 1984 noch einmal Erinnerungen an das monumentale Kino weckte.




Bewertung: 10 von 10 Punkten.

Samstag, 18. Oktober 2014

Die Maske runter


















Regie: Richard Brooks

Die letzten Tage der Zeitung...

Humphrey Bogart wurde vom American Film Institute zum größten Filmstar aller Zeiten gewählt. Seine Filme "Casablanca", "Der Schatz der Sierra Madre", "Die Spur des Falken", "African Queen", "Tote schlafen fest", "Gangster in Key Largo", "Entscheidung in der Sierra", "Die Caine war ihr Schicksal", "Das unbekannte Gesicht" oder "Haben und Nichthaben" sind legendäre AllTime Klassiker. Vielleicht liegt es an der großen Anzahl von Highlights in seiner Filmographie, dass die schwächeren Arbeiten etwas untergegangen sind. Dabei sind Filme wie "Konflikt", "späte Sühne", "Vor verschlossenen Türen" oder "Der Tiger" alles andere als schlechte Filme - sie kommen lediglich im Vergleich zu seinen besten Arbeiten schlechter weg. "Die Maske runter" von Richard Brooks ist auch einer dieser sehr unbekannten Bogart-Filmen, vielleicht sogar einer der im TV am seltesten gezeigten Werke.
Der Film gehört auch nicht zu den Hauptarbeiten seines Regisseurs Richard Brooks, der sich sowohl als Autor (Rächer der Unterwelt, Crossfire, Zelle R 17) als auch als Regisseur (Kaltblütig, Die Brüder Karamasow, Mädchen ohne Mitgift, Katze auf dem heißen Blechdach, Saat der Gewalt, Die letzte Jagd, Elmer Gantry, Die gefürchteten Vier, 700 Meilen westwärts, Auf der Suche nach Mr. Goodbar) einen Namen machte.
Der Film zerfällt formal in zwei Hälften oder besser gesagt Teile, denn sie vermischen sich im Lauf der Geschichte zu einer Einheit. Da wäre zum einen das Drama, denn "Deadline U.S.A. (so der Originaltitel) aus dem Jahr 1952 hat auch zum Thema, dass die Zeitung "The Day" nach dem Tod ihres Herausgebers Garrison verkauft werden soll. So wollen es jedenfalls die Erben: Seine Frau Margaret (Ethel Barrymore) und deren Töchter Alice (Fay Baker) und Katherine (Joyce McKenzie), die je 1/3 vom Erbe besitzen. Der Verkauf - womöglich an den Herausgeber des Konkurrenzblattes - hätte den Tod der Zeitung zur Folge. Als Chefredakteur bekäme Ed Hutcheson (Humphrey Bogart) zwar eine üppige Abfindung ausgesprochen, das restliche Personal würde allerdings mit einem noch gewährten 2-Wochen Gehalt als Trost nach dieser Zeit auf der Straße sitzen. Damit stehen Existenzen auf dem Spiel, die Jahrelang für die Zeitung arbeiteten und sich mächtig ins Zeug legten (u.a. Ed Begley, Audrey Christie). Dabei war der junge und engagierte Journalist George Burrows (Warren Stevens) gerade dabei in Sachen Tomas Rienzi (Martin Gabel) zu recherchieren. Der mutmaßliche Gangsterbos hat einmal mehr - gerade erst kürzlich - kalt lächelnd eine Senatsanhörung überstanden. Hutcheson ist zunächst nicht so angetan von der Idee dem Gangster das Handwerk zu legen - er fürchtet, dass die Entwicklung der anspruchsvollen Zeitung mit dieser Art von Sensationspresse aus inhaltlicher Sicht ins Negative abgleitet. Doch der drohende Verkauf ändert seine Meinung. Mit dieser Story könnte die Zeitung durch das gesteigerte öffentliche Interesse vielleicht am Leben erhalten werden. Ganz nebenbei muss der vielbeschäftige Mann auch noch um seine Frau Nora (Kim Hunter) kämpfen, die sich schon seit vielen Monaten scheiden lassen will. Einen neuen Partner für eine erneute Vermählung hätte sie auch schon.
Dann wird sein Reporter von Rienzis Schergen zusammengeschlagen, und es taucht die Leiche einer Frau aus dem Umfeld des Gangsters auf. Nun versucht Hutcheson den gesamten Rechercheapparat der Zeitung noch mehr anzuziehen...

und mit dieser Wendung sind wir auch schon bei den "Film Noir" Anteilen, die aber nicht dominierend für das Gesamtwerk sind. Der Film wirkt etwas "semi-dokumentarisch" und ist aber in erster Linie ein Plädoyer für freie Presse und für unabhängige Zeitungen.
Diese haben es aber in einer neuen Zeit immer schwieriger - die Leute wollen Schlagzeilen und eben nicht die glänzend recherchierte Geschichte. "The Day" hat Journalisten, die Konkurrenz aber "Reporter"
Pidax präsentiert das Werk nun zum ersten Mal auf DVD. Die starken semi-dokumentarischen Elemente des Zeitungs-Plots ergänzen sich mit den deutlichen Film-noir- Referenzen der Thriller-Handlung zu einem so spannenden wie realistischen Gesamtwerk. Filmkritiker Leonard Maltin lobte damals die Darstellung Bogeys als Redakteur mit Mission. Natürlich stammt das  atmosphärische und kenntnisreiche Drehbuch von Richard Brooks selbst. Der 1992 im Alter von 80 Jahren verstorbene Regisseur war ein Autorenfilmer, denn die meisten Drehbücher zu seinen Regiearbeiten verfasste er auch.
Ein Blick in "Die Maske runter" lohnt sich auf jeden Fall - es ist zwar kein Meisterwerk, aber ein solider, gut ausbalancierter Bogey-Streifen. Für Freunde alter 50er Jahre Filme auf jeden Fall empfehlenswert.


Bewertung: 7 von 10 Punkten.

Mittwoch, 15. Oktober 2014

Die große Illusion


















Regie: Jean Renoir

Die Überwindung der Grenze...

Erster Weltkrieg an der Westfront: Bei einem Aufklärungsflug werden der französische Jagdflieger Maréchal (Jean Gabin) und der hohe Stabsoffizier de Boeldieu (Pierre Fresnay) von dem deutschen Jagdflieger Major von Rauffenstein (Erich von Strohheim)  abgeschossen und geraten in Kriegsgefangenschaft. Trotz allem herrscht gegenseitiger Respekt unter den "Feinden" und bevor die Franzosen ins Kriegsgefangenenlager abtransportiert werden, wird noch gemeinsam gegessen. De Boeldieu und auch Rauffenstein entstammen dem Adel und aufgrund der Klassenzugehörigkeit ist zu erkennen, dass sie sich wünschen, sie hätten sich unter anderen, friedlichen Umständen kennengelernt. Im Lager selbst machen die Gefangenen das Beste aus ihrer Lage - unter den wachsamen Augen der teilweise höflichen Wärter, beginnen die Franzosen einen Tunnel zu graben, der sie in die Freiheit bringen soll.  Unter den Gefangenen ist auch der vermögende Jude Rosenthal (Marcel Dalio), der die Gruppe mit köstlichen Konserven seiner Verwandten versorgt, die Pakete werden auch zugestellt, da die Deutschen so auch die teure Verpflegung für Gefangene sparen. Die Männer üben mit dem Schauspieler Cartier (Julien Carette) auch eine Gesangsstil im Boulevard- und Burleskestil ein. Während dieser Aufführung trifft die Nachricht eintrifft, dass das hart umkämpfte Fort Douaumont wieder in französischer Hand ist. Vor lauter Begeisterung stimmt Marechal die Marseillaise an und landet dafür im Bunker.  Derweil graben seine Kameraden weiter und in der Nacht soll es losgehen. Marcheal kommt sogar an diesem besagten Tag aus der Einzelhaft. Doch dann werden die Männer überraschend verlegt. Damit gibts auch ein Wiedersehen mit von Rauffenstein, der nach vielen schweren Verwundungen nun der Kommandant eines sicher geltenden Gefangenenlagers geworden ist. Die Gemeinschaft der beiden aus dem Adel stammenden Männer intensiviert sich. Um die Flucht von Marcheal und Rosenthal zu ermöglichen, fingiert Boeldieu selbst einen Ausbruchsversuch und ermöglicht den beiden Kameraden einen Vorsprung. Bei einer deutschen Bäuerin (Dita Parlo) finden die beiden vorübergehend Unterschlupf...


Das Filmdebüt von Jean Renoir, dem Meister des poetischen Realismus, entstand 1937 zu einer Zeit extremer wirtschaftlicher und politischer Turbulenzen in Europa. Noch lange nicht waren die Wunden des 1. Weltkriegs verheilt und das Drohen neuer Konflikte war spürbar. Rein oberflächlich gesehen ist sein Kriegsfilm, der im eigenen Genre sehr stark aus dem Rahmen fällt, ein pazifizistisches Plädoyer gegen die Flut nationalistischen Eifers und faschistischer Politik dieser Zeit. Vielmehr kritisiert der Film auch die Konstrukte, mit denen vorhandene Unterschiede zementiert werden können und die allesamt vom Menschen selbst gebaut werden. Renoir gelingt es die Menschen vernünftig zu zeichnen - es gibt keinen Hass. Aber allen ist klar, dass sie verschiedenen Herren dienen, die den Kampf befehlen. Also inmitten des Wahnsinns eines mörderischen Krieges sind die Menschen tagtäglich zu friedlichen Handlungen bereit. Auch wenn sie einen Tunnel graben. Renoir sieht in seinem Film weniger eine Schranke wegen der Rasse, dem Volk oder ethnischen Zugehörigkeiten. Vielmehr sieht er ein Problem darin, dass die Klassen untereinander vielmehr getrennt sind. So verstehen sich die Aristokraten untereinander gut (Rauffenstein und Boeldieu). Auch zwischen Marcheal und der deutschen Bäuerin existiert sehr schnell keine Fremdheit mehr. Der historisch wertvolle Film ist brilliant in seiner Objektivität. Er wurde zu seiner Zeit sowohl in Frankreich selbst als auch im benachbarten Ausland (Deutschland, Italien) geschnitten oder gar verboten. Seltsam das Gegenspiel von Militärismus und Pazifismus. Das Miteinander der beiden Aristokraten basiert beispielsweise auf Tugenden wie Ehre, Ordnung und gegenseitigem Respekt, die aus der Mode kommen - wie sie es in einem Gespräch untereinander formulieren und erkennen, dass ihre Zeit wohl abgelaufen ist.  Somit sind die Deutungen, was eine große Illusion ist, vielschichtiger. Renoir könnte zwar die Illusion als eine Art Wunsch oder Zukunftsvision gemeint haben, dass nicht nur die Nationen, sondern auch die gesellschaftlichen Klassen sich irgendwann miteinander versöhnen. Im Bezug auf seine Entstehungszeit war es aber wohl eher auch schon ein resignierendes Element, dass man nicht aufhalten konnte. Der Weltfrieden war bald wieder in Gefahr. Das Darstellertrio Jean Gabin, Pierre Fresnay und der deutsche Erich von Strohheim spielen ihre Figuren grandios und mit viel Würde. Man empfindet Trauer darüber, warum es gelingt den Menschen immer wieder für den Krieg zu konditionieren. "Die große Illusion" zeigt eindrücksvoll, dass das Miteinander nicht verloren ist. Ein sehr schöner und wichtiger Klassiker der europäischen Filmgeschicht und einer der besten Filme der 30er Jahre. 



Bewertung: 10 von 10 Punkten. 

Dienstag, 14. Oktober 2014

Das Cabinet des Dr. Caligari

























Regie: Robert Wiene

Die Mutter aller Horrorfilme in überwältigender Restauration...

Der junge Francis (Friedrich Feher) sitzt mit einem anderen Mann auf einer Parkbank. Als er eine Frau (Lill Dagover) vorbeigehen sieht, erklärt er "Das war meine Braut und was ich erlebt habe, ist noch viel seltsamer als allws, was Ihnen begegnet ist, ich werde es Ihnen erzählen". In dieser Rückblende tut sich vor dem Auge des Zuschauers der Vorhang auf in die norddeutsche Kleinstadt mit dem Namen Holstenwall. Dort ist gerade Jahrmarkt und man sieht das Treiben im Städtchen verzerrt durch schräge Linien, schiefen Hausfassaden und Wände, geneigte Ebenen, unklare Wege oder schräg hängende Laternen. Dort lebt Francis und wird von seinem besten Freund Alain (Hans Heinrich von Twardowski) überredet sich ins Vergnüngen zu stürzen. Auf dem Jahrmarkt selbst gehört auch Dr. Caligari (Werner Krauss) zu den Schaustellern und Akteuren. Vom städtischen Beamten, der ihn sehr hochmütig und mit Verachtung behandelt hat, bekam er die Genehmigung, dass er sein Medium Cesare (Conrad Veidt), einen Somnambulen, präsentieren darf. Dieses zombieartige Wesen verbringt sein Leben in einem todesähnlichen Schlaf und kann nur durch die hypnotische Beeinflussung seines Meisters Caligari zum Leben erwachen. Das Publikum nähert sich neugierig. Noch während der Jahrmarkt im Gange ist, wird der Beamte, der die Genehmigung ausstellte, tot aufgefunden. Ein grässlicher Mord in der Kleinstadt, doch Francis und Alain befinden sich im Zuschauerraum und sehen die Erweckung des geheimnisvollen Mediums. Der Doktor gibt bekannt, dass Cesare in der Lage ist sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft zu sehen. Alain stellt ihm die Frage "Wie lange lebe ich noch ?", worauf das Medium "Bis zum Morgengrauen" antwortet. Ein Schock im ersten Moment, doch die beiden jungen Männer glauben der Wahrsagerei natürlich nicht und treffen auf dem Heimweg die hübsche Jane (Lil Dagover), in die sich beide Männer verlieben. Sie bemerken es und beschliessen, dass Jane entscheiden soll, wer ihr Herz erobern kann, Freunde wollen sie in jedem Fall bleiben. Dann ist Nacht. Am Morgen ist Alain tatsächlich tot. Wieder mit einem Messer, der zweite Mord innert weniger Stunden. Francis verdächtigt Caligari und beobachtet ihn. Dieser wacht neben einem sargähnlichen Kasten, in dem Cesare liegt. Dann geschieht ein dritter Mordversuch, der in letzter Sekunde von der Polizei vereitelt wird. War der Verdacht unbegründet ? Jedenfalls sitzt der vermeintliche Mörder im Gefängnis, aber dennoch wird Jane von Cesare in ihrem Bett angegriffen...



Am Ende einer wilden Verfolgungsjagd flieht Caligari in ein Irrenhaus. Francis scheint am Ziel seiner Ermittlungen im Fall Caligari angelangt zu sein: Es stellt mit Zeugen fest, dass Caligari mit dem Direktor identisch ist.  Mit Hilfe hypnotischer Beeinflussung wollte der wahnsinnige Wissenschaftler die totale Manipulierbarkeit von Somnambulen nachweisen. Es bleibt allerdings ungeklärt, wie aus dem Diretor Caligari werden konnte, der im 18. Jahrhundert in Italien lebte und mit seinem Medium die Dörfer bereiste. Auch damals gabs immer wieder Morde, die in diesem Umfeld verübt wurden. Als Francis seine Erzählung beendet hat, geht er in das Anstaltsgebäude. Er begegnet dort Cesare, dem Direktor, auch seiner Braut Jane. Der Direktor sieht nun nicht mehr verrückt aus, sondern macht einen ganz normalen Eindruck. Francis selbst gehört zu den Insassen des Irrenhaus und unterliegt den dort geltenden Gesetzen der Realität. Der Direktor erklärt seinen Helfern, dass Franics ihn für diesen verstorbenen Caligari hält, dass er ihn aber nun, wo er die Krankheit kenne, den Mann heilen kann...,
Das hervorstechendste Merkmal dieses bahnbrechenden, expressionistischen Stummfilms aus dem Jahr 1920 ist weder die Geschichte noch die Thematik, sondern der Dekor. Ob aus ökonomischen oder künstlerischen Beweggründen, es war jedenfalls ein gewaltiger Schritt von den üblich naturalistischen Bauten zu dieser völligen Künstlichkeit der Welt des Doktor Caligari. Die Ausstatter Hermann Warm, Walter Reimann und Walter Röhrig waren Mitglieder der Berliner "Sturm"  Gruppe und machten aus der finanziellen Not der Decla Filmgesellschaft eine innovative Tugend. Sie erstellten statt aufwendiger Kulissen aus Pappe, Leinwand und Sperrholz eine unnaturalistische Alptraumvision. Dadurch, daß alles irreal, gestaucht, kubistisch, schief, eben anders erscheint, akzeptiert man als Zuschauer selbst einen Jahrmarkt, der eigentlich nur aus einem Leierkastenmann, einem Treppengeländer, einigen angedeuteten Zelten, zwei stilisierten Karussells, diversen durchs Bild strömenden Statisten und einem gemalten Hintergrund besteht. Zur Amtsstube im Rathaus führen kafkaeske, endlos erscheinende Korridore. Autoritäten sitzen auf absurd hohen Stühlen, Schatten auf Wänden und Gesichtern sidnd aufgemalt. Besonders das fingerdicke Makeup von Conrad Veidt wirkt enorm geisterhaft.
"Das Cabinet des Dr. Caligari" ist ein Film von Robert Wiene aus dem Jahr 1919 und wurde bei seiner Uraufführung 1920 zum riesigen Kinoerfolg. Als Sensation galt, dass nun die Kunst Einzug in das noch neue Medium Film gehalten hatte. Aus diesen Grunde wurde der deutsche Film der Weimarer Republik weltberühmt und drohte Hollywood den Rang abzulaufen. Es enstanden weitere Meisterwerke wie "Der Golem" (1920, Carl Boese, Paul Wegener), "Nosferatu" (1922, F.W.Murnau) oder "Metropolis" (1927, Fritz Lang). Auch Jahrzehnte später ist der Einfluss dieses Kino-Frühwerks in der Filmgeschichte noch zu spüren - er ist so etwas wie der Archetyp des Psychothrillers, der tief in die Abgründe der Seele blickt und auch lange nicht alle seine Geheimnisse preisgibt. Sogar Martin Scorseses "Shutter Island" dürfte sehr stark von diesem Meisterwerk inspiriert worden sein.
Der Expressionismus selb ist eine den Anfang des 20. Jahrhunderts prägende Kunstrichtung. Durch die Vereinfachung der Formen und den Einsatz von kräftiger, kontrastreicher Farbgebung war es eine Gegenbewegung zum Realismus, Naturalismus und Impressionismus. Im Grunde eine Kunst des gesteigerten Ausdrucks. Die Erben dieser Filme können in den beiden Genres Film Noir und Horrorfilm angesehen werden. Am Ende erscheint die Handlung unwirklich, da sie sich scheinbar als Hirngespinst eines Insassen einer Nervenheilanstalt entpuppt. Doch diese Erklärung steht auf brüchigem Boden, da es offensichtlich ist, dass hier auch Autoritäten attackiert werden und die Figuren des Films Mühe haben mit der eigenen Identität. "Wer bin ich ? " steht allgegenwärtig im Raum und auch die bange Frage, wer das Gegenüber ist.
Siegfried Kracauer zog 1947 in seinem einflussreichen Buch "Von Caligari zu Hitler" eine interessante sozialpsychologische Parallele zwischen dem Filmstoff und dem aufkommenden Nationalsozialismus.  So sieht er in Caligari eine der vielen Tyrannen-Figuren des Weimarer Republik. Die dem Drehbuch von Janowitz und Mayer durch Regisseur Robert Wiene hinzugefügte Rahmenhandlung interpretierte Kracauer als einen Akt politischer Verdrängung, da er die angebliche Intention des Films in sein Gegenteil verkehrt habe. Mit der Umkehrung der Rolle des Wahnsinnigen und des Gesunden sei die Autorität in Form Dr. Caligaris wieder bekräftigt worden. Für den Autor selbst, der die Allmacht der Staatsgewalt anprangern wollte, war Calgari das Symbol einer schrankenlosen Macht - die durch Militärdienstpflicht und Kriegserklärungen über Leben und Tod von Untertanen bestimmen können. Cesare dagegen das Bild des zum willenlosen Werkzeug abgerichtete kleinen Mannes und Francis fungiert als Vertreter der Vernunft und würde zumindest in eine positive Zukunft deuten, wenn da nicht Wienes fieser Widerhaken am Ende wäre, der Rätsel aufgibt.
Auf Grundlage des im Filmarchiv des Bundesarchivs erhaltenen Kameranegativs hat die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung eine digital restaurierte Fassung des Films in einer hochauflösenden 4 K-Version geschaffen. Die digitale Bildrestaurierung führte die in Bologna ansässige L´Immagine Ritrovata - Film Restoration & Conservation in den Jahren 2012 und 2013 aus, der Film erstrahlt somit jetzt in einem großartigem Glanz, wie es ihm auch gebührt.





Bewertung. 10 von 10 Punkten.

Montag, 13. Oktober 2014

Weißer Terror

























Regie: Roger Corman

Der Agitator...

Von Roger Cormans "Weißer Terror", der war mir bislang unbekannt war, bin ich auf Anhieb begeistert und ich habe den Eindruck jetzt endlich einen wichtigen US-Filmklassiker neu für mich entdeckt zu haben.  Der Film über Rassismus im ländlichen Süden der USA entstand 1962 und hat eine Sonderstellung im Werk von Corman, dem Meister des B-Pictures. Cormans bekanntesten Filme sind die stilvollen Edgar Allen Poe Verfilmungen wie "Die Verfluchten", "Grab der Lygeia", "Lebendig begraben", "Pendel des Todes", "Folterkammer des Hexenjägers", "Der Rabe" oder "Satanas".
Der Film spielt in den frühen 60er Jahren, als das Gesetz der Vereingten Staaten endlich den Grundsatz "Separate but equal" kippte, der zwar "getrennt, aber gleich" suggerierte, in Wahrheit aber ein unrühmliches Kapitel der US-Südstaaten im alltäglichen Rassismus darstellte.
Diesem Grundsatz zufolge wurden für weiße und schwarze Amerikaner in vielen Bereichen des Lebens vergleichbare Einrichtungen oder Dienstleistungen zur Verfügung gestellt, die jedoch hinsichtlich ihrer Nutzung strikt nach der Hautfarbe getrennt waren, was als Ausprägung einer Politik der Segretation gilt. Die Bürgerrechtsbewegungen der 50er und 60er hatten dann zur Folge, dass die Rassentrennung in öffentlichen Schulen in allen Bundesstaaten 1954 als verfassungswidrig erklärt wurde. Offiziell war er abgeschafft, aber die Umsetzung - vor allem in den durch die Geschichte der Sklavenhaltung noch stark geprägtem Süden - war schwierig und lösten Gewaltwellen und vor allem "Weißer Terrror" aus.
In Cormans Film kommt eine Fremder (William Shatner) mit dem Bus in die kleine fiktive Stadt im Süden von Caxton. Er gibt vor, dass er sich beruflich um "Soziale Intergration" kümmert und interviewt sehr unauffällig die Leute in dieser  Kleinstadt, was sie davon halten, dass am morgigen Tag erstmalig 10 Dunkelhäutige die Schule der Weißen betreten und dort unterrichtet werden. Zu diesen mutigen Vorreitern gehört der junge, begabte Joey Greene (Charles Barnes), dessen Eltern mit Angst diesen Tag entgegensehen. Man weiß ja nicht, wie die Weißen auf dieses neu Gesetz reagieren. Und die sind in der Mehrheit auch negativ eingestellt und befürworten nach wie vor die Rassentrennung - nicht nur in der Highschool. Der Fremde, der Adam Cramer heißt, weiß mit Raffinesse einflussreiche Stadtväter wie Verne Shipman (Robert Emhardt) für seine niederen Zwecke zu gewinnen, denn er ist in die Stadt gekommen und reichlich Stimmung gegen die Schwarzen zu machen. In einer manipulationen und demagogischen Rede vor der Town Hall der Stadt heizt er den Mob auf, indem er auch noch behauptet, dass Kommunisten und Juden in Washington die Rassengesetze aufheben wollen und die Politik beeinflussen. Im Taumel des Hasses, der sich breit macht, werden beinahe noch schwarze Pasanten gelyncht.  Tom McDaniel, er Chefredakteur der Zeitung (Frank Maxwell) stellt sich gegen den Mob, wird aber sehr schnell ebenfalls vom zornigen Mob zum Feind erklärt. Während es sich immer mehr aufheizt, bandelt Cramer mit McDaniels Tochter Ella (Beverly Bunsford) an und verführt die Frau (Jeanne Cooper) seines Zimmernachbarn Sam Griffin (Leo Gordon)...



und dieser hat dann sogar die beste Szene im Film, als er den charismatischen Seelenverkäufer zur Rede stellt, ihn mit seinen Lügen als Feigling völlig durchschaut und ihm so sein wahres Gesicht widerspiegelt. In diesem einen Moment ist der "Eindringling" gedemütigt, doch er macht weiter und es ist am Ende wieder dem Handelsvertreter Griffin zu verdanken, dass die Dynamik in der Stadt sich nicht ganz zur Katastrophe wendet. Cormans Film ist grandios aufgebaut, die Schwarz-Weiß Kamera von Taylor Byars setzt uns mitten ins Geschehen und man kann die Entwicklung in diesem kleinen Kaff kaum fassen - aber genauso wie hier gezeigt funktionieren solche Agitationen. Er muss nur rhetorisch gut sein - die Drecksarbeit erledigt dann der kleine Mann. 


Bewertung: 10 von 10 Punkten.