Samstag, 18. Juli 2020

Die Ratten

























Regie: Robert Siodmak

Das gekaufte Kind....

Mitte der 50er Jahre verließ Robert Siodmak seine Wahlheimat USA und ließ sich in Ascona am schweizer Ufer des Lago Maggiore nieder. Sein letzter US-Film war der komödiantische Piratenfilm "Der rote Korsar". Ab dieser Zeit drehte er auch wieder in Deutschland. "Die Ratten" aus dem Jahr 1955 war war eine freie Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von Gerhard Hauptmann. Der Film wurde auf der Berlinale 1955 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Noch besser bei der Kritik kam sein Serienkillerfilm "Nachts, wenn der Teufel kam" an, der mehrere deutsche Filmpreise und sogar eine Oscarnominierung als bester ausländischer Film erhielt. In einem späteren Interview gab Siodmak an, dass er nach seiner ruhmreichen Zeit in Hollywood nur noch auf zwei Filme stolz war. Er meinte die beiden erwähnten Filme, obwohl einige weitere spätere Filme wie "Der Schulfreund" oder "Der Schut" Kassenhits waren.
"Die Ratten" basiert auf auf dem Drama in fünf Akten von Gerhard Hauptmann. Uraufführung war 1911 in Berlin und das Stück spielte in der Hauptstadt am Ende des 19. Jahrhundert. Ort der Handlung war eine ehemalige Kaserne (Alexanderstraße 10/Ecke Voltairestraße) - dieser Ort wurde um 1880 von ca. 60 Familien bewohnt und vom Volk wurde diese Siedlung verächtlich "Wanzenburg" genannt. Siodmak wählte aber das Berlin der 50er Jahre für seinen Film. Die junge Polin Pauline Karka (Maria Schell) läuft in der kalten Silvesternacht an der S-Bahn entlang zur Grenze des britischen Sektors. Dort fällt sie den Grenzbeamten auf, da sie einen verwirrten Eindruck macht und vermutlich auch betrunken ist. An ihrem Mantel klebt Blut und aus diesem Mantel holt sie eine Stoffpuppe hervor und behauptet, dass dies ihr Kind sei. Im Polizeirevier werden der Möbelspediteur Karl Johns (Gustav Knuth) und eine Frau Anna (Heidemarie Hatheyer) gerufen, wo die Frau bis vor kurzem noch wohnte. Besonders Frau John wirkt abweisend als man sie auf Pauline anspricht, doch als sie ihre Bekannte zu Gesicht bekommt, meint sie "jetzt ist sie tatsächlich wahnsinnig geworden" und erzählt als Rückblick eine fast unglaubliche Geschichte. So wird der Zuschauer Zeuge, wie die von ihrem Liebhaber verlassene Polin schwanger und mittellos ist. Die junge Frau weiß nicht wie es weitergeht. Da macht ihr Frau John in einer längeren Abwesenheit ihres Mannes einen folgenreichen Vorschlag. Frau John erzählt, dass sie schwanger war, doch sie hat selbst vor ein paar Tagen ihr Kind verloren. Sie würde sich um Pauline bis zur Geburt kümmern und deren Kind dann als ihr eigenes ausgeben. Ihrem Mann würde sie das Baby dann als das eigene ausgeben. Dieser Deal sind ihr die gesamten Ersparnisse wert und in ihrer Verzweiflung geht die angehende Mutter auf diesen Vorschlag ein. Alles bleibt geheim - nur die beiden Frauen und Frau Johns Bruder Bruno Mechelke (Curd Jürgens) wissen davon Bescheid. Alles scheint gut zu gehen. Selbst Herr John fällt auf den Schwindel mit dem Kind herein. Doch dann kommen Pauline Gewissensbisse und sie bereut bald ihr Kind weggegeben zu haben...



Dieser heimliche Deal bekommt in "Die Ratten" eine totbringende Dynamik, denn durch die Ambivalenz der echten Mutter kommt die Wahlmutter immer mehr unter Druck, bis sie sich sogar dazu entschließt ihren Bruder dazu anzustiften Pauline aus dem Weg zu räumen. In Siodmaks Film hat das Geständnis von Frau John einen leicht versöhnlichen Touch, im Drama von Hauptmann ist die Aussage viel düsterer. Denn die Frau, die unter allen Umständen das Kind behalten wollte und ihm eine liebende Mutter sein wollte, suizidiert sich am Ende, worauf das Fazit der Umgebung in ungefähr so wiedergegeben wird "Erst jetzt hat das Kind seine Mutter verloren“ oder "det jeht jetzt ooch zujrunde",wie so viele andere seines Milieus - die soziale Aussage fehlt bei Siodmak. Aber durch die durchgehend guten Darstellerleistungen - Maria Schell spielt eine junge, labile und sehr schwache Frau, die Hatheyer dagegen kämpft für ihr "Junges" viel mehr wie eine Löwin, schreckt aber an einem Punkt des Konflikts vor nichts mehr zurück - sorgen dafür, dass "Die Ratten" ein wichtiger deutscher Film der 50er Jahre wurde. Tatsächlich hat Heidemarie Hatheyer, die einstige "Geierwally" die beste Rolle abbekommen. Curd Jürgens passt auch perfekt in die Rolle als skrupelloser Mann, der wie seine Schwester zu allem fähig ist, auch als Handlager des Todes. Ein drittes Baby in der Geschichte soll auch nicht unerwähnt bleiben, es wird gestohlen.
Kameramann Göran Strindberg aus Schweden bekam für seine düsteren Bilder das Filmband in Gold.


Bewertung: 8 von 10 Punkten. 

Donnerstag, 9. Juli 2020

Kirmes

























Regie: Wolfgang Staudte

Begrabene Vergangenheit...

 Im Jahr 1958 gründeten die Regisseure Wolfgang Staudte, Harald Braun und Helmut Käutner die "Freie Filmproduktion GmbH". Kurz vorher entstand auch sein Comeback mit "Rosen für den Staatsanwalt", einer der wenigen westdeutschen Filme der 50er Jahre, die sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzten und mit diesem Thema auch noch erfolgreich war. Staudte erhielt dafür den Bundesfilmpreis. Neben dem Käutner Film "Der Rest ist Schweigen" wurde auch Staudtes Nachfolgefilm "Kirmes" von den Regisseuren selbst produziert. Dabei blieb Staudte zwar seinem Thema treu, wenngleich aus einem ganz anderen Blickwinkel.
"Rosen für den Staatsanwalt" ist satirisch und setzt sich in bissiger Form mit der Judikative im Wirtschaftswunderland auseinander. Dem Protagonisten, einem Oberstaatsanwalt, gelingt es seine Rolle als Militärjurist in der Nazizeit zu verbergen und kann in der neuen Bundesrepublik nahtlos wieder im Justizsystem dienen.
In "Kirmes" geht es mehr um die kleinen Leute in einem typischen deutschen Dorf. Haben sie aus ihren Fehlern unter dem nationalsozialistischen Regime Lehren ziehen können ?
Wie in Bernhard Wickies Welterfolg "Die Brücke" spielt "Kirmes" in den letzten Tagen des 2. Weltkrieges. Die Amis sind schon einmarschiert und sie stoßen immer weiter vor. Dennoch glaubt in diesem kleinen Eifeldorf der Ortsgruppenleiter (Wolfgang Reichmann) immer noch an den Endsieg. Zumindest scheint es so, vielleicht macht sich der Mann aber auch nur noch etwas vor.
Aber vor dieser Rückblende in das Frühjahr 1945 steht die Anfangssequenz der Geschichte, die das Dorf im Jahr 1960 zeigt. 15 Jahre sind inzwischen vergangen. Im Dorf werden die Filmplakate des Kinos, die für Hathaways "Garten des Bösen" und für Bernard Borderies Spionagefilm "Der Gorilla schlägt zu" überklebt mit der Ankündigung der am nächsten Tag stattfindenden Kirmes. Auch das Wahlplakat von Konrad Adenauer wird überklebt. Die Karussells werden aufgebaut und dann finden die Arbeiter beim Aufbau eines der Karussells auf das Skelett eines Toten. Neben der Leiche findet man einen Wehrmachtshel, eine Maschinenpistole und ein kleines Feuerzeug.
Nur im Haus von Martha (Manja Behrens) und Paul Mertens (Hans Mahnke) herrscht Aufregung, denn Martha ist sofort klar, dass es sich bei dem Toten nur um ihren Sohn Robert (Götz George) handeln kann. Der Bürgermeister Georg Hölchert (Wolfgang Reichmann), der Pfarrer (Fritz Schmiedel) und der Gastwirt Balthausen (Benno Hoffmann) argumentieren dagegen.  – widersprechen ihr zuerst, aber als sie darauf beharrt und ihn anständig begraben lassen will, schwenken sie um und ändern ihre Argumentation. Was würde passieren, wenn bekannt würde, dass Roberts Leiche mitten im Dorf lag. Einfach verscharrt - das würde bedeuten, dass er Deserteur und Vaterlandsverräter gewesen wäre. Aber Roberts Name steht auf dem Denkmal für die Gefallenen Helden des Krieges. Und Staudte führt den Zuschauer durch die Rückblende zurück an die Ereignisse, die damals im Ort geschehen sind. Robert Mertens (Götz George) ist geflohen, weil er nicht länger töten wollte. Doch seine Flucht bedeutet nun auch das sichere Todesurteil, falls er entdeckt werden würde. Er versteckt sich zuerst im Keller des elterlichen Hauses...



Am Ende hilft ihm die französische Fremdarbeiterin (Juliette Mayniel), die im Dorf nicht den besten Ruf genießt, weil sie sich gerne mit Männern einlässt.
Wolfgang Staudtes Film kam damals nicht besonders gut weg bei der Filmkritik. Man tadelte den Regisseur dafür, dass er den Ortsgruppenleiter und späteren Bürgermeister als einfach strukturierten stiernackigen Nazi präsentiert hat und auch die Rolle von Juliette Mayniel entspricht dem Klischee der besonders leichtlebigen Französin. Rein oberflächlich kann man diese Kritikpunkte nachvollziehen, aber wenn man etwas tiefer analysiert, findet sich beim Nazi kein Bilderbuchteufel, sondern eher ein Schwächling, der es nötig hat, wenn er Macht ausüben darf und die Französin hat sicherlich in den ganzen Jahren vorher eine Strategie des Überlebens entwickelt, dazu gehört dann auch das Ausspielen der weiblichen Waffen.
Und ausserdem überwiegen für mich doch die Vorzüge dieses galligen Films doch deutlich, denn Staudte hat ein exaktes Auge für den generellen Opportunismus jedes Einzelnen, der mit seinem Tun nicht nur ein umenschliches Regime am Leben erhielt, sondern darüberhinaus selbst nach 15 Jahren unfähig ist Lehren aus dem Schrecken und dem Leid zu ziehen. Denn mit der Argumentation des Desertieren werden auch die Eltern des jungen Soldaten wieder auf Kurs gehalten. 15 Jahre nach dem Krieg war der Ausstieg aus demselben immer noch als Landesverrat und Feigheit deklariert.



Bewertung: 7,5 von 10 Punkten.

Montag, 6. Juli 2020

Endstation Liebe

























Regie: Georg Tressler

Die Wochendwette...

"Endstation Liebe" ist ein Film von Georg Tressler, das Drehbuch wurde von Will Tremper geschrieben. Kein anderer Regisseur konnte den jungen Horst Buchholz, damals als "deutsche Ausgabe von James Dean" angesehene so vorteilhaft und effektiv in Szene setzen. Mit Tressler drehte der Schauspieler drei seiner besten Filme: Im Jahr 1956 "Die Halbstarken", es folgte zwei Jahre später "Endstation Liebe" und der Abschluß bildete der düstere Seemannsfilm "Das Totenschiff" im Jahr 1959.
In "Endstation Liebe" zeigt Tressler ein etwas anderes Bild vom Wirtschaftswunderland und insbesondere auch ein anderes Berlin-Bild. Als Vorbilder gab der Regisseur die klassischen Vertreter des italienischen Neorealismus an, Leute wie Roberto Rossellini oder Vittorio de Sica.
Und so präsentieren sich auch die Locations. Es ist nichts zu spüren von einer politisch geteilten Stadt. Auch die Sehenswürdigkeiten werden ausgelassen. Der Ort der Handlung sind staubige Straßen an einem typischen Sonntagmorgen in der Stadt und die Menschen, die hier in den vielen Altbauwohnungen in ganz einfachen Verhältnissen leben. Jeglicher Glamour fehlt. Tresslers Augenmerk gilt der sozialen unteren Mittelschicht. Diese Menschen haben zwar Arbeit und eine Wohnung und können von ihrem Lohn leben, aber größere Sprünge können nicht gemacht werden.
Mecky (Horst Buchholz) ist einer der jungen Fabrikarbeiter, die ein bisschen in den Tag hineinleben und keine großen Ziele haben. Seine Arbeitskollegen schätzen ihn, denn er ist einer der Stützen der Fußballmannschaft des Betriebs. Der Sonntagnachmittag findet auf dem Sportplatz statt, am Abend davor besucht die Jugend die Tanzclubs oder man geht in die Boxarena oder zum Catchen. Im Betrieb hat die junge Christa (Barbara Frey) eine Stelle angefangen. Den jungen Kerlen in der Fabrik gefällt das hübsche Mädchen, doch sie lässt gleich einen Kumpel von Meckie abblitzen. Mecky, Aufreißer vom Dienst, könnte an jedem Finger fünf Mädels haben und er wettet mit seinen Kollegen, dass er die Neue bis zum Montag flachgelegt hat. Mit flegelhaftem Verhalten und großer Angeberei kommt er aber bei dem Mädchen gar nicht an. Der erste Angriff scheitert also. Warum also nicht den attraktiven angehenden Schwiegersohn verkörpern ? Mecky mit Anzug klingelt bei der Mutter seines "Opfers" in der Hand einen Blumenstrauß. Christas Mom (Karin Hardt) ist zunächst entzückt. Endlich mal ein junger Mann mit guten Manieren, doch Christas jüngerer Bruder Uli (Peter Uwe Witt) hat bereits von der Wette Wind bekommen und versucht ein Date zwischen Christa und Mecky zu verhindern. Stattdessen verbringen sie zu Dritt den Abend bei einer Catch-Veranstaltung, nicht gerade Christas Welt. Danach kommen sich die beiden jungen Leute aber doch noch näher und Mecky vergisst dabei seine Wette. Kann es sein, dass er sich zum ersten Mal verlieben könnte ?



Im Grunde ist "Endstation Liebe" ein bisschen Fortsetzung von "Die Halbstarken" nur etwas kommerzieller und mit einem gewissen HappyEnd für das Bürgertum durch das Plädoyer für die große Liebe und anschließendem Bund der Ehe. Tressler wollte den Film "Zeit bis Montag früh" nennen, der Titel fand aber nicht die Gnade der Produzenten. Doch dieser Titel zeigt vielleicht eher die Nähe zu einem britischen Verwandten wie "Samstag Nacht bis Sonntag Morgen" von Karel Reisz mit Albert Finney als junger Arbeiter und wie er sein Wochenende gestaltet. Der britische Film ist natürlich deutlich progressiver und bissiger. Aber Tresslers Film ist dennoch sehr empfehlenswert. Starke Bilder zu der Geschichte lieferte Kameramann Helmut Ashley, dessen Optik zwar eigenwillig ist, aber sehr zur gekonnten Atmosphäre des Films beiträgt. Somit stark als Zeitdokument und stark als zeitlose Lovestory



Bewertung: 7,5 von 10 Punkten.