Mittwoch, 8. Februar 2017

Kinder des Olymp




















Regie: Marcel Carne

Zeit und Vergänglichkeit...

Die Galerie, der höchste Rang im Zuschauerraum wurde früher auch "Olymp" genannt. Im 18.19. Jahrhundert waren es die billigsten Plätze, so dass auch arme Leute sich das Vergnügen leisten konnten ins Theater zu gehen. Dort oben tummelten sich Jugendliche, Dienstboten oder Soldaten. Ihre Reaktionen auf die Darbietungen waren auch gefürchtet, denn sie scheuten sich nicht die Aufführungen auf der Bühne lautstark zu kommentieren. Ironischerweise also saß die niedrigste soziale Schicht ganz oben in diesem Olymp - in Frankreich hieß dieser Rang "Paradis". Marcel Carnes Meisterwerk heißt "Kinder des Olymp" (Les Enfants du paradis) und ist genau diesem Galeriepublikum gewidmet.
Die Arbeiten an dem Film dauerten 18 Monate und fanden zwischen 1943 und 1945 statt. Es war eine der größten Herausforderungen des französischen Films im besetzten Frankreich die größten Studiobauten zu errichten. Schließlich wollte man das Pariser Theaterviertel der Jahre 1830 bis 1840 so authentisch wie möglich zeigen. Transportmittel, Material, Kostüme und Filmmaterial war äusserst knapp - man musste ständig improvisieren. Der hervorragende Ausstatter Alexandre Trauner und auch Komponist Joseph Kosma mussten im Verborgenen arbeiten, denn als Juden waren sie gezwungen unterzutauchen. Heraus kam ein überwältigendes Leinwand-Opus, das mit seinem Produktionsetat von 60 Millionen Francs einer der teuersten Filme des französischen Nachkriegskinos wurde. Die Uraufführung fand einige Monate nach der Befreiung am 9. März 1945 statt. Obwohl die Hauptdarstellerin Arletty als Kollaborateurin mit den Nazis in Haft kam (sie hatte eine Affäre mit einem deutschen bekannten deutschen Luftwaffenoffizier), wurde sie mit dieser Rolle zur unsterblichen Leinwandlegende.
Die Handlung beginnt 1827 - Frankreich wird regiert von Bürgerkönig Louis-Philippe. Das Volk von Paris ist theaterverliebt. Auf dem Boulevard du Temple, die Straße, die den Spitznamen "Boulevard du Crime" hat,  herrscht reges Leben, es ist Jahrmarkt. Und das Volk schaut vergnügt dem schwierigen Balanceakts eines Seiltänzers zu. Dieses Bild ist vielleicht auch gleichzeitig Symbol für ein Hauptmotiv des Films, denn er deutet hin auf den gefahrvollen Gang des Individuums auf einem ganz schmalen Pfad, den man Schicksal nennt. Die Straße ist beinahe ein Ebenbild des Theaters Funambules, nur hat sie ihren Spitznamen nicht nur aufgrund der zahlreichen Mordszenen aus melodramatischen Stücken, die dort aufgeführt werden, sondern vor allem Nacht geht es auf dem Boulevard und in den Kneipen sehr gefährlich zu. Diebstahl, Totschlag oder gar Mord sind keine seltenheit. Baptiste Debureau (Jean-Louis Barrault) ist ein melancholischer Träumer und arbeitet mit Begeisterung und völliger Hingabe als Pantomine im "Funambules". Auf dem Jahrmarkt kann er der schönen Garance (Arletty) aus der Patsche helfen, als sie unschuldig des Diebstahls einer Geldbörse bezichtigt wird. Als Dank schenkt sie ihm eine Blume. Ab da ist es um den jungen Mann geschehen, er liebt plötzlich. Zur gleichen Zeit will der extrovertierte Narzist Frederic Lemaitre (Pierre Brasseur) als Charakterdarsteller am großen Theater mit Stücken von Shakespeare berühmt werden. Doch er hat noch kein Engagement. Er kann aber im Funambules arbeiten - vorausgesetzt er akzeptiert die Rolle eines Löwen. So zwängt er sich in ein komisches Köstüm und schnuppert erstmalig Theaterluft. Auch er hat die unwiderstehliche Garance auf dem Jahrmarkt gesehen, mit ihr geflirtet - aber einen liebevollen Korb erhalten. "Darf ich sie wieder sehen ?" fragt er und bekommt als Antwort "Warum nicht ? Paris ist doch so klein für zwei Liebende wie wir" und tatsächlich trifft er sie ein zweites Mal. "Liebe ist so einfach" - so sagt Garance und nimmt das Leben leicht. Sie verkehrt mit dem verhinderten Schriftsteller Pierre Francois Laceinaire (Marcel Herrand), der die Frau ebenfalls begehrt. Als Intellektueller und Anarchist leistet er sich aber auch noch den Nervenkitzel  Krimineller zu sein und schreckt auch mit seinem Kumpanen Avril (Fabien Loris) nicht vor dem Morden zurück. Nathalie (Marie Casares), die Tochter des Theaterdirektors (Marcel Peres) liebt Baptiste, bemerkt aber, dass dessen Herz für eine andere schlägt. Tatsächlich bekommt der schwärmerische Baptiste den Moment Garance zu lieben, doch er verlangt mehr....alles und auf ewig. Er muss zusehen, wie Frederic mit Garance eine Affäre beginnt. Doch die Beziehung hält nicht lange. Garance trifft auf den reichen Grafen von Monterey (Louis Salou) und verlässt Paris. Nach vielen Jahren kehrt sie nach Paris zurück und erkennt, dass auch sie nie aufgehört hat, den sensiblen Baptiste zu lieben. Der ist inzwischen mit Nathalie verheiratet, das Paar hat einen kleinen Sohn. Nun beginnt sich das Liebeskarussel erneut zu drehen..





am Ende des Films verfolgt Baptiste Garace, die im Gewühl des Straßenkarnevals nicht mehr zu finden ist. Vielleicht das schönste Filmende überhaupt - melancholisch, viel süßer Schmerz und vor allem unterstreicht dieses Bild das Hauptthema des Films: Die Zeit und die Vergänglichkeit. Seit ich diesen wunderbaren Film über das Theater gesehen habe, gehört er zu meinen erklärten Lieblingsfilmen. Das Drehbuch von Jacques Prevert ist perfekt und und Regisseur Marcel Carne ist ein wahrer Meister seiner kunst. Er übertrifft mit diesem Historienfilm noch seine Meisterwerke "Hafen im Nebel" und "Der Tag bricht an". Ein magischer Film, der Melancholie und Lebensfreude miteinander vereinen kann, ebenso Romantik und Realismus. Eine ganze Epoche, der Aufbruch philosophischer Ideen, wird durch diese Geschichte auf einmal lebendig.






Bewertung: 10 von 10 Punkten.

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