Dienstag, 7. April 2015

Berlin - Sinfonie einer Großstadt

























Regie. Walter Ruttmann

Berlin, Frühling 1927...

Walter Ruttmann ist einer der Pioniere des deutschen Films. Er prägte als Kameramann und Filmregisseur mit abstrakten Experimentalfilmen das Film-Geschehen in der Weimarer Republik. Der am 28. Dezember 1887 in Frankfurt am Main geborene Ruttmann verstarb 1941 in Berlin nach einer Operation an den Folgen einer Embolie. Mit Kurzfilmen etablierte er sich im noch jungen Filmgeschäft. Dabei zeichnete er 1924 die "Falkentraum-Sequenz" für das Filmepos "Die Nibelungen" von Fritz Lang. Zwei Jahre später arbeitete er bei Lotte Reinigers Scherenschnitt-Animationsfilm "Die Abenteuer des Prinzen Achmed" mit. 1927 schuf er dann sein Hauptwerk: Der Montagefilm "Berlin - Die Sinfonie der Großstadt" dokumentiert einen Tagesablauf der Metropole Berlin. Der mit einer hohen ryhthmisch geschnittenen Dynamik ausgestattete Film lässt den Einfluß von Sergej Eisenstein erkennen und beginnt mit einer atmosphärisch dicht inszenierten Bahnfahrt. Der Schnellzug wird von einer Dampflokomotive gezogen und ist noch mehr als 100 Km von der Hauptstadt entfernt. Dabei passiert der Zug Wiesen, Lauben- und Wohngebiete. Der Zuschauer hat das Gefühl mitzufahren und bald trifft der Zug auch im Anhalter Bahnhof nahe dem Stadtzentrum ein. Doch die Stadt schläft noch. Aus der Vogelperspektive gleitet der Blick über die Dächer Berlins und zeigt die noch leeren Straßen der Großstadt. Doch langsam wird die Stadt wach. Die Straßen füllen sich mit den Menschen, die sich auf dem Weg zur Arbeit machen. Mit der immer höheren Anzahl von Menschen auf den Straßen passt sich auch der Rhythmus des Films diesem hektischen Treiben an.
"Berlin - Symphonie einer Großstadt" hatte im September 1927 Kinopremiere. Auch heute noch faszinieren diese schwarz-weißen Impressionen aus der Weimarer Republik, Bild, Musik und Montage wurden von Walter Ruttmann zu einer extrem stimmungsvollen Einheit verschmolzen. Es sind Bilder und Momentaufnahmen eines typischen Berliner Frühlingstages. Der erste Teil ist dem Morgen der Stadt gewidmet, dann folgt der Mittag, man sieht wie die Berliner ihre Mittagspause nutzen, geht dann über in den Abend mit dem Ende der Arbeit, wo dann auch schon das Nachtleben beginnt.
In einer Szene sieht man das Treiben der Menschen, die wie Ameisen wirken. Alle gehen ihrem Tagwerk nach und Ruttmann verquickt diese Szene der zur Arbeit gehenden Menschen mit zwei anderen Szenen: Zum einen sieht man eine Kuhherde, die in einen Schlachthof getrieben werden. Die andere Szene, die in diesen Fluß hineingeschnitten wurde ist das Aufmarschieren von Soldaten. Man hat Ruttmann vielfach vorgeworfen, dass das Individuum dabei in einer auf Oberflächen reduzierten Formenvielfalt verschwindet.
Die Bilderfolge hat eine hohe Bewegungsdynamik und steigert sich phasenweise in einen regelrechten Bilderrausch hinein. Stimmungstechnisch perfekt begleitet wird das 65 minütige Filmvergnügen aus einer längst vergangenen Zeit von der Musik des Komponisten Edmund Meisel. Auch seine Arbeit ist schnell, rasant und betont die Bilder. Dies ist ein echter Soundtrack zum Film und zur Stadt. Die Dokumentation wartet nicht nur mit faszinierenden Bildern der Metropole an der Spree aus den goldenen Zwanziger Jahren auf. Hier werden auch gesellschaftliche Gegensätze portraitiert und verschiedene soziale Milieus und die brodelnde Atmosphäre einer Großstadt festgehalten, eine Großstadt am Puls der Zeit.



 Der Film war und ist nicht unumstritten, aber er ist mit Sicherheit ein herausragender Vertreter deutscher Filmkunst, trotz der ihm vorgeworfenen Oberflächlichkeit. Schon der Anfang mit dem einfahrenden Zug ist die brilliante Machart des Konzeptfilm zu erkennen. Typisch dazu die ungewohnt rasanten Schnittfolgen. Danach gehts zwar etwas ruhiger zu, aber dennoch wagt Ruttmann immer wieder ungewöhnliche Kameraeinstellungen. Das typische Bild der Industrialisierung trifft hier durch sehr viele Komponenten zusammen: Die Eisenbahn, die stampfenden Maschinen in der Fabrik, der Verkehr auf der Straße, die nächtliche Beleuchtung der Stadt. Der Zuschauer kann zu den Bildern eigene Emotionen bilden, wenn er in einer der Szenen Bettler und arme Straßenmusikanten sieht. Neben dem tristen Leben in Sozialbauten sieht man aber auch das schicke Leben der High Society. Beide Gegensätze treffen immer wieder für eine Momentaufnahme zusammen und trennen sich auch wieder. Das pulsiierende Leben in der Metropole des Jahres 1927 weckt aber auch immer wieder den Gedanken daran, dass sich 6 Jahre später soviel veränderte.



Bewertung: 9 von 10 Punkten.

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