Dienstag, 7. April 2015

Deutschland im Jahre Null



Regie: Roberto Rossellini

Edmunds Leben in Ruinen...

"Deutschland im Jahre Null" aus dem Jahre 1948 war nach "Rom, offene Stadt" (1945) und "Paisa" bereits der dritte Film, in dem sich der Filmemacher Roberto Rossellini mit den Auswirkungen des Nationalsozialismus beschäftigte. In dem in Deutschland entstandenen Trümmerfilm zeichnet er ein realistisches Bild des Nachkriegseuropas. Der Film erhielt auf dem Festival in Locarno den Hauptpreis und den Preis für das beste Drehbuch. Die Bilder des Sommers 1947 aus einem völlig zerbombten Berlin bleiben im Gedächtnis. Zeitgleich drehte auch Billy Wilder in der deutschen Metropole, wobei sein Film "Eine auswärtige Affäre" völlig anders - als eine rabenschwarze Satire auf das deutsch-amerikanische Verhältnis kurz nach dem Krieg - angelegt war.
Rossellinis Berlin Film ist düster und zeigt das Dasein der Überlebenden, die völlig im Schutt in alten Ruinen hausen. Ein Abbild des physischen Berlins - mit dem Wechselbild aus Licht und Schatten nimmt ein psychologisches Epos Gestalt an. Es ist die Geschichte des 12jährigen Edmund (Edmund Möschke), der in diesem Labyrinth zuhause ist - aber ständig in Bewegung bleibt. Der Junge muss wohl oder übel für seine Famlie sorgen. Doch Arbeit gibts mit 12 Jahren noch nicht. Sein Vater (Ernst Plittschau) ist herzkrank und bettlägerig. Der ältere Bruder Karl-Heinz (Franz Otto Krüger) versteckt sich, weil er Angst hat als ehemaliger Wehrmachtssoldat in Kriegsgefangenschaft zu kommen. Schwester Eva (Ingetraut Hinze) ist für den Haushalt zuständig.
Abends trifft sich die junge Frau in Begleitung ihrer Freundinnen häufig mit Soldaten der Besatzungsmächte. Mehrfach wird ihr von Leuten aus ihrer Umgebung empfohlen, sich intensiver mit den Soldaten einzulassen. Doch sie schreckt vor diesem Schritt zurück. Es genügt ihr etwas Zerstreuung zu finden und an jedem Abend einige Zigaretten mit nach Hause bringen zu können. 
Da Karl Heinz sich nicht registrieren lässt, erhält er logischerweise auch keine Essenskarte, geschweige denn eine Arbeitserlaubnis. In der Familie leben daher vier Personen von drei Essenskarten, was die ärmlichen Verhältnisse noch gravierender macht.
Im Haus hat der Besitzer Herr Rademacher (Hans Sanger) das Sagen. Er bekommt in diesen Notzeiten Mieter vom Wohnungsamt zugeteilt und man merkt ihm an, dass er seinen Mietern gegenüber sehr misstrauisch gesinnt ist. In diesen Notzeiten sind Diebstähle und Unterschlagungen an der Tagesordnung.
Eines Tages trifft Edmund zufällig auf seinen früheren Lehrer Herr Enning (Erich Gühne). Mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit ist ein Berufsverbot ausgesprochen worden. Er hält sich mit Hehlerei über Wasser und betätigt sich in einem sonderbaren Pädophilenring als Zulieferer. Dieser Lehrer plädiert weiterhin für die Lehren der Nazis, dass nur der Starke überleben wird und die Schwachen auszumerzen sind. Da der Vater sich selbst den Tod wünscht, keimt in dem kleinen Edmund ein fataler Gedanke auf...


 Fast alle Erwachsenen in Rossellinis düsterem Berlinfilm sind in dieser Stunde Null an einen Punkt angelangt, wo nur noch das eigene Überleben gesichert sein will. Ein eigenartiges Karussell, die Menschen agieren wie in einem Todesballet. Dabei steht der kleine Edmund als Held und wichtiges Individuum (er steht für einen Neuanfang) unter dem Mikroskop des Filmemachers. Oft ist sein Spielplatz der berühmte Neptun-Brunnen. Aber zeit für das kindliche Spielen wird ihm nicht viel gewährt, er muss erwachsen sein. Mit den Jugendlichen Thilde (Barbara Hintz) und Jo (Jo Herbst) macht er ein bisschen Geld auf dem Schwarzmarkt und sieht, dass sich Diebstahl auch auszahlt. Am Ende wird die Geschichte sehr radikal. Denn - obwohl jugendlicher Hoffnungsträger - ist Edmund auch mit seinem eigenen Schatten konfrontiert. Dieser Doppelgänger steht für das vergangene Regime. Die beiden Komponenten lassen den jugendlichen Protagonisten am Ende in seinem Konflikt explodieren. Es folgt die Flucht und die konsequente Zerstörung.
Das Fortleben der Monster in eines der Themen in dem Film. Der Film sucht Antworten in dieser Zusammenbruchsgesellschaft. Diese ehemals propagierte Volksgemeinschaft wandelt nun in den Ruinen beinahe wie in der Steinzeit beinahe ziellos umher, anarchistische Zustände herrschen vor. Dort in den Ruinen leben diejenigen, die noch einmal davongekommen sind. Aus diesem Klima überlebt man mit Tricks und List.
Bei seinen Erkundungsfahrten durch die zerstörte Stadt fand Rossellini seinen Laiendarsteller, die selbst alle noch unter dem Schock des Krieges standesn. Kompromisslos in der Aussage und neorealistisch in seiner Darbietungsform überzeugt der Film durch seine große Authentizität. Die Kameraaufnahmen des zerbombten Berlin machen "Deutschland im Jahre Null" zudem zu einem erschütternden und sehr wichtigem Zeitdokument. Neben "Die Mörder sind unter uns" von Wolfgang Staudte ist dies sicherlich der wichtigste der Trümmerfilme.


Bewertung: 9 von 10 Punkten.

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