Donnerstag, 4. Februar 2016

Anders als Du und ich

























Regie: Veit Harlan

Der Paragraph 175 im Wirtschaftswunderland...

Das finale Drehbuch von Veit Harlans "Anders als Du und ich - Paragraph 175"  hieß "Das dritte Geschlecht" und weist eine wesentlich pointiertere, dramaturgisch zugespitztere Szenenfolge auf. Während im ursprünglichen Drehbuch die beiden Jungs Klaus und Manfred noch Benny Goodman hören, finden wir in der deutschen Kinofassung nun sperrige "Elektronenmusik", die etwa so klingt wie abstrakte Bilder aussehen. Im fertigen Film fehlen auch zwei Szenen des Drehbuchs: Der Prolog im Hörsaal und eine längere Szene, in der Max Mertens (Hans Nielsen), der Onkel  von Klaus Teichmann (Christian Wolff) eine Prostituierte aus dem Bordell zur Kurierung seines Neffen engagieren will.  Dennoch wurde der Film am 3. August 1957 von der FSK nicht freigegeben. Man warf dem umstrittenen Regisseur Veit Harlan (Jud Süß, Die goldene Stadt, Kolberg) vor, dass er das bürgerliche Elternhaus seines Protagonisten zu negativ zeichne und dass sich deshalb eine Überbewertung des Kreises der Homosexuellen ergäbe. Der Film wäre deswegen sittlich verwirrend und damit würde er entsittlichend auf weite, normal empfindende Kreise wirken und müsse aus dem Gesichtspunkt der Erhaltung der Volksgesundheit vom Publikum ferngehalten werden. Der Film mache Propaganda für männiche Homosexualität. In Österreich wird der Film aber in dieser Fassung freigegeben. Um auch einen deutschen Kinostart zu bewerkstelligen musste Harlan extreme Zugeständnisse machen: Die Dialoge mussten nachsinchronisiert werden und es sollte dabei vor allem auch die Amoralität und Strafbarkeit homosexuellen Verhaltens hervorgehoben werden. Daher wird auch am Ende der potentielle schwule Verführer Dr. Boris Winkler (Friedrich Joloff) am Flughafen verhaftet und vom unsympathischen Kommissar (Paul Esser) wie ein Verbrecher behandelt. Die Mutter (Paula Wessely)bekommt zwar eine Strafe wegen ihrer Kuppelei, aber abgemildert, da sie ja das Beste für ihren gefährdeten Sprössling wollte. Dies alles erregte die Gemüter im Jahre 1957, zur besten Wirtschaftswunderzeit, wo der Spießbürger das Sagen hatte. Dieser Begriff fällt im Film mehrmals in einem negativen Sinn. Heute ist Harlans Film ein extrem interessantes Zeitdokument, dass zeigt wie eine keineswegs positive Behandlung von Homosexualität im deutschen Kino dennoch von der damaligen Gesellschaft als Plädoyer begriffen wurde. Wie sich die Zeiten ändern, zum Glück. Wobei ja auch heute noch ein "Coming out" keine so einfache Sache darstellt und auch heute noch dürfte es so aufs höchste beunruhigende Eltern geben wie Bankdirektor Teichmann (Paul Dahlke) und Frau Christa (Paula Wessely), weil ihr Sohnemann Klaus, zwar ein fleissiger Schüler ist, aber sich irgendwie nichts aus Mädchen macht und abstrakte Bilder malt. Sie hegen immer mehr den Verdacht, dass der Klaus dem dritten Geschlecht angehört. Zumal er ja auch mit Manfred Glatz (Gunther Theil) befreundet ist, ein Junge, der von seinen Mitschülern wegen seiner schwulen Neigung gemobbt und gehänselt wird. Doch es wird noch schlimmer. Um dem Alltagsmief des bratenduftend-polstergarniturhaften Elternhauses zu entfliehen, wo ihn keiner versteht, zieht es Klaus in die Kreise des äusserst freundlichen Antiquitätenhändlers Dr. Boris Winkler, der jungen Männern gerne etwas länger in die Augen schaut und auch gerne mal einige Sekunden länger die Hand gibt als normal üblich...der gilt zwar als kultiviert und geistvoll, aber über dessen abwegige Veranlagung dennoch schon gemunkelt wurde. Ist er etwa ein Homosexueller ? Seine Wohnung ist mit asiatischer Kunst vollgestopft, man liest Gedichte,  er lässt junge männliche Talente am Trautorium aufregende Elektronenmusik erzeugen und leichtbekleidete athetische Jungs im Freistilkampf auf dem teuren Perserteppich tanzen. Klaus ist schwer beeindruckt. Obwohl der Zuschauer die ganze Zeit das Gefühl hat, dass der junge Mann sich wenn dann eher geistig zu diesem Kreis hingezogen fühlt... aber nicht körperlich. Denn nach dem Aufsuchen von Arzt und Jugendpsychologen fasst die entschlossene, beherzte Mutter sich ein Herz und forciert dass Haustochter Gerda (Ingrid Stenn) doch mal die Initative ergreifen soll, in der Hoffnung das der noch jungfräuliche Sohnemann auf die Reize einer liebevollen Frau anspringt. Und das gelingt doch im Nu...


Da aber Spießbürger Teichmann den schwulen Antiquitätenhändler angezeigt hat wegen Gefährdung Jugendlicher, gibt es die ulitmative Retourkutsche. Denn es gibt im Wirtschaftswunderland nicht nur den umstrittenen § 175, sondern auch die Kuppeleiparagraphen 180/181. Und darauf steht natürlich auch Zuchthaus, was angesichts der Aktion der besorgten Mutter genauso bescheuert und übertrieben ist. Im Grunde aus heutiger Sicht viel Rauch um Nichts, aber damals vor 50 - 60 Jahren war die gleichgeschlechtliche Liebe noch ein Verbrechen. Dennoch war es sicherlich mutig einen solchen Film in den 50er Jahren zu machen, da dieses Thema noch ein Tabu war und in vielen Fällen nur versteckt in der Handlung eingebettet war. Es gibt nur wenige Ausnahmen und wenn, dann sind sie sehr dezent und vorsichtig konzipiert, wie etwa der Hollywood-Streifen "Anders als die Anderen" von Vincente Minelli, der einige Monate vor dem Veit Harlan Film entstand und das Thema auch extrem übervorsichtig angehen musste. Hier ist sogar der deutsche Film direkter. Natürlich warf man den Skandalregisseur wieder - wie schon im Dritten Reich - vor diskriminierende Filme zu machen. Wobei im Falle von "Anders als Du und ich" schon etwas relativiert werden muss. Hätte man den Directors Cut akzeptiert, dann wäre der Film nicht homofeindlich gewesen, man hätte ihn wohl eher tendenziell neutral wahrnehmen können. Natürlich sind viele Szenen heute auch unfreiwillig komisch zu betrachten. Etwa wenn der Vater ein schwules Lokal besucht, in dem sich der Onkel verdächtig gut auszukennen scheint. Dort tritt ein Travestiekünstler (Marcel Andre) auf. Der Vater kann nicht glauben, dass die Transe dort oben auf dem Podium ein Mann sein soll und sieht sich hysterisch selbst in Gefahr auf eine solch attraktive Frau hereinzufallen. Auch der schwule Hauskreis wird ja durchweg mit Klischees überzogen, man muss schmunzeln bei soviel grotesker Einlage. Ein Indiz dafür, dass dieses Thema damals tatsächlich Neuland war. Natürlich ist aus heutiger Sicht die schnelle Bekehrung des gefährdeten Jungen die Schwachstelle. Denn im Grunde gabs ja nie wirklich ein Grund für diese Gefahr, Christian Wolff spielt lediglich einen schüchternen Jungen, der sich noch nicht traut und der ein bisschen alternativ leben möchte, also nicht so nach Schema F wie seine Eltern. Der damalige Zeitgeist hat es nicht anders zugelassen, dass der Protagonist von seiner "Krankheit" durch normalen Sex geheilt wird.

Bewertung: 7 von 10 Punkten.

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