Regie: Bob Fosse
Naive Taxitänzerin...
1958 gewann Federicos Fellinis "Die Nächte der Cabiria" den Oscar als bester Auslandsfilm. Darin spielt seine Ehefrau Giuliette Masina das Straßenmädchen Maria Ceccarelli, genannt Cabiria", die in Rom lebt und trotz ihres Jobs immer noch ein kindliches Gemüt hat und an die große Liebe glaubt. Es ist einer der schönsten Filme aller Zeiten. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen für den 12 Jahre später entstandenen Bob Fosse Film "Sweet Charity", der die gleiche Geschichte nach New York transportiert und sie mit Musik und Tanz kombiniert. Bob Fosse gelang es in den 70er Jahren mit den Musicals "Cabaret" und "All that Jazz" zwei Meisterwerke zu drehen. Mit "Sweet Charity" aus dem Jahr 1969 hatte er aber nicht die uneingeschränkte Gunst der Filmkritik und des Kinopublikums - trotz einer tadellosen Schauspielerleistung von Shirley McLaine, die bereits unter Billy Wilder in "Irma la Douce" eine Frau spielt, die dem ältesten Gewerbe der Welt nachgeht. Ihre Figur Charity Hope Valentine ist eine Taxitänzerin bzw. Amüsiermädchen, das für Geld mit Männern tanzt. Dabei hat sie auch nach 8 Jahren in diesem Job ihren Glauben an die Güte der Menschen und an die ewige reine Liebe noch nicht verloren. Durch diese Naivität gerät sie aber stets an Männer, die sie nur ausnutzen. Ihren Freundinnen Nickie (Chita Rivera) und Helene (Paula Kelly) arbeiten ebenfalls als Taxitänzerinnen.Ihr verheirateter Freund Charlie (Dante diPaolo will nur an ihr Erspartes und ergreift die beste Gelegenheit sie von der Gapstow Bridge im Central Park werfen und ihr ihre gesamten Ersparnisse von 427 Dollar zu stehlen. Der Fandango Ballroom und seine schmierig-erotische Kulisse werden mit dem Lied "Big Spender“ vorgestellt. Charity teilt ihre Enttäuschung und Hoffnungen in mehreren Szenen im Laufe des Films mit ihren beiden Freundinnen. Etwas später trifft Charity den berühmten Filmstar Vittorio Vitale (Ricardo Montalban), gerade als er mit seiner dauernd eifersüchtigen Freundin Ursula (Barbara Bouchet) Schluss macht. Charity isst später mit Vittorio in seiner Wohnung zu Abend. Gleich danach kehrt Ursula jedoch zu Vittorio zurück und Charity muss eine demütigende Nacht in einem Schrank verbringen, während Vittorio und Ursula miteinander schlafen und Liebe machen. Charity kehrt erneut ins Fandango zurück, doch sie will sich verändern. Auf der Suche nach einer respektableren und lohnenderen Arbeit geht Charity zu einer Arbeitsvermittlung, muss jedoch zugeben, dass sie weder eine höhere Bildung noch einen höheren Abschluss hat, und der Interviewer glaubt, sie sei als Scherz geschickt worden. Sie bejaht dies und geht. Der Aufzug des Gebäudes bricht zwischen den Stockwerken zusammen und Charity stützt einen Mann, der in Panik gerät. Es ist der schüchterne und klaustrophobische Oscar Lindquist (John McMartin), der Charity auf die Straße verfolgt und sie schließlich um ein Date bittet. Die beiden gehen mehrmals zusammen aus, unter anderem besuchen sie eine alternative Kirche, der ein Prediger namens Big Daddy (Sammy Davis jr) vorsteht, und beten mit dem Lied „The Rhythm of Life“. Charity verrät Oscar nicht, was sie beruflich macht, und lässt ihn glauben, sie arbeite in einer Bank. Oscar macht ihr einen Heiratsantrag und gibt sich aufgeschlossen, als sie ihm schließlich ihren Beruf verrät. Gibt es diesmal für Charity ein Happy End ?
Es gibt ein alternatives Ende mit einem glücklichen Ausgang. Das hätte allerdings dem Film geschadet. In Fellinis Film ist Oscar aber ein Heiratsschwindler, in Fosses Film kann dieser Mann die Vergangenheit seiner Geliebten nicht vergessen. Am Ende ist die junge Frau aber in beiden Filmen allein und in "Nächte der Cabiria" begegnet sie auf dem Rückweg in die Stadt einer fröhlichen Gesellschaft bestehend aus Jugendlichen. Neue Hoffnung schöpfend schließt sie sich mit einem Lächeln zwischen den Tränen den Menschen an. In "Sweet Charity" ist diese Szene zeitgeistig, denn im Central Park begegnet Charity einigen Blumenkindern, die sie begrüßen. Das alte Studio System Hollywoods befand sich in den späten 60er Jahren bereits in der Krise und das Erstarken des realistischen gesellschaftskritischen Kinos des New Hollywoods war auf dem Vormarsch. Der Film konnte die Erwartungen an der Kinokasse nicht erfüllen. Der Film hatte erfolglos versucht, die gängigen Musical-Klischees mit ihrem konservativen Weltbild mit der Lebenswirklichkeit in der Großstadt zu verknüpfen. So ist einerseits Charitys Club-Besuch mit dem Schauspieler eine Satire auf das moderne Nachtleben und wirkt wie eine Vorwegnahme der Disco-Bewegung. Drei Oscarnominierungen (bester Musikscore, Beste Ausstattung und beste Kostüme) wurden vergeben. Shirley MacLaine wurde bei der Oscarvergabe ignoriert, sie wurde allerdings für den Golden Globe vorgeschlagen. In der Retrospektive wird Fosses Film inzwischen viel positiver wahrgenommen.
Bewertung: 8 von 10 Punkten.
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