Regie: Ingmar Bergman
Reise ohne Hoffnung...
Mit "Das Schweigen" aus dem Jahr 1963 löste Regisseur Ingmar
Bergman einen der größten Filmskandale aller Zeiten aus. Aber die
Publicity um den Film bescherte ihm auch seinen größten Kinoerfolg.
Alleine in Deutschland wollten über 10 Millionen Zuschauer den Film im
Kino sehen. Als anstößig galten vor allem die drei Szenen mit einem
Liebesakt eines Pärchen während einer Varietevorstellung, die Sexszenen
zwischen Anna, gespielt von Gunnel Lindbloom (Das siebente Siegel, Die
Jungfrauenquelle), mit einem Fremden und die Masturbationsszene ihrer
älteren Schwester Ester.
Es war damals auch eine echte Überraschung, dass der Film in
Deutschland ungeschnitten in die Kinos kam und sogar zusätzlich das
Prädikat "Besonders wertvoll" erhielt. In anderen Ländern wurde "Das
Schweigen" sogar verboten oder nur mit Schnitten dieser 118 Skeunden
langen expliziten Szenen für den Kinogänger freigegeben.
Im Nachhinein fiel dem Maestro die Ähnlichkeit seines Filmes mit
den Vorgängern "Licht im Winter" und "Wie in einem Spiegel" auf - daher
gilt "Das Schweigen" heute als dritter Teil der sogenannten
"Glaubenstrilogie".
Der Film beginnt mit der Zugfahrt von Ester (Ingrid Thulin), ihrer
Schwester Anna (Gunnel Lindbloom) und Annas neunjährigem Sohn Johan
(Jörgen Lindström) - die drei sind auf der Reise in ihre schwedische
Heimat. Doch Ester ist schwer lungenkrank und die Reise muss in der
fiktiven Stadt Timoka - irgendwo in Osteuropa - unterbrochen werden.
Dort quartieren sich die drei in einem Grand Hotel ein, wo offenbar nur
eine Artistengruppe, Liliputaner, wohnen. Auch das Personal scheint dort
deutlich reduziert - lediglich ein sehr alter Portier (Hakan Jahnberg)
kümmert sich um die Gäste. Die Konversation ist deutlich erschwert, da
der Kellner kein Fremdsprachen beherrscht und selbst Ester, die als
Übersetzerin arbeitet, hat Mühe mit der Landessprache. In dieser fremden
Stadt scheint auch zumindest das Militär, vielleicht auch der Krieg,
allgegenwärtig zu sein. Der kleine Johan hat auf der Zugfahrt bereits
viele Panzer erblickt und auch vom Hotelfenster aus sieht man nachts wie
einer dieser Panzer die Straßen durchquert. Tagsüber herrscht reges
Treiben in den Cafes und Bars. Als es zu Auseinandersetzungen zwischen
Anna und Ester kommt, die von ihrer Schwester anscheinend mehr als nur
schwesterliche Liebe erwartet, geht Anna aus und bandelt mit einem
Kellner (Birger Malmsten) an. Nach ihrer Rückkehr berichtet sich der
schwerkranken Ester mit brutaler Deutlichkeit davon, was sie am
Nachmittag mit dem fremden Mann erlebte. Sie trifft sich auch in dieser
Nacht mit ihrer Eroberung in einem anderen Zimmer des Hotels. Ester
erfährt von Johan davon und klopt an die Tür, um Anna von dem One Night
Stand mit diesem Mann abzuhalten. Es kommt wieder zum Streit und zum
Zusammenbruch von Ester, die von Anna am anderen Morgen bewusstlos am
Boden gefunden wird. Überstürzt packt Anna und verlässt gemeinsam mit
Johan die sterbende Schwester. Zum Abschied hat Ester dem kleinen Neffen
ein paar Wörter in dieser fremden Sprache geschrieben mit dem Zusatz
"Du wirst verstehen". Nach den schwülen Tagen kommt es während der
Zugfahrt zum Wolkenbruch, Anna reisst die Fenster des fahrenden Zuges
auf und fühlt sich durch den Regen auf ihrer Haut für einen Moment
befreit...
Die Kritiker deuteten Bergmans symbolgeladenen Film als ein Zeichen
für die Welt ohne Gott. Eine Welt ohne Hoffnung, in der die Sexualität
möglicherweise zum Ersatz für die Liebe fungieren muss. Aber Schweigen
und Einsamkeit bleiben, auch Gott antwortet nicht mehr. Der Film wirkt
relativ hoffnungslos, was die Beziehung zwischen den beiden Schwestern
betrifft und auch die kurze Liason mit dem Fremden. Viele sahen den Film
mit Symbolik überfrachtet - die Optik ist aber großartig. Und vor allem
die Szenen mit dem neugierigen kleinen Johan, der das seltsame Treiben
der Erwachsenen beobachten, sind extrem gut geglückt. Natürlich war
einmal mehr Bergmans treuer Kameramann Sven Nykvist für diese betörenden
Schwarz-Weiß Bilder verantwortlich. Natürlich ist der heutige Zuschauer
schon sehr überrascht von den Szenen, die damals - vor etwas mehr als
50 Jahren - solch einen Aufruhr provozieren konnten. Heute gilt der Film
als Klassiker des Arthaus-Kinos, keiner regt sich mehr über diese
harmlosen Szenen auf, die im Kontext des Films die destruktive Note der
Geschichte unterstreichen. Aber damals wurde nicht nur eine Aktion
saubere Leinwand gegründet, es gingen in der BRD auch zahlreiche
Anzeigen wegen Unzucht in diesem Film ein. Was heute bleibt ist die
brutale kalte Aura dieser Geschichte, die suggestive Bedrohung ist dabei
ständig präsent, kann aber nicht bewiesen oder begründet werden. Es
bleibt offen, ob die Hoffnung gestorben ist.
Bewertung: 9 von 10 Punkten.
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